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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne
Autoren: Nina Blazon
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ich geschworen, dass ich immer noch träumen musste. Er hatte mich – eine Hohe – angefasst! Und was noch schlimmer war: Er sprach mit mir ohne Respekt, wie mit einer Gewöhnlichen. Meine Mutter hätte ihm sofort die Hand abhacken und die Zunge abschneiden lassen, aber ich war Canda, die Strahlende, die Liebende, und selbst jetzt, in der größten Verzweiflung, musste ich tun, was das Richtige war. Nicht für mich – für Tian!
    Ich schluckte die Demütigung herunter, richtete mich auf und hob das Kinn. »Dir ist wohl nicht klar, mit wem du redest«, sagte ich mit aller Schärfe, die ich aufbieten konnte. Der kleinere Wächter stutzte. Ich wusste, was er sah: Eine junge Mächtige mit vor Zorn funkelnden Augen, in all der Würde der ältesten Familie. Zum Glück war ich noch soweit bei Verstand gewesen, mir im Aufzug das Haar glatt zu streichen und es im Nacken zu einem Knoten zu winden. »Macht die Tür auf! Tian Labranako ist in Gefahr!«
    Der Blick des Größeren schweifte von meinem Gesicht zu dem Prunkgewand und dann wieder zurück, als versuchte er ein Puzzle zusammenzusetzen, dessen Teile nicht passen wollten. Fast tat er mir leid, denn gleich würde er erkennen, was er getan hatte. Und er würde Todesangst bekommen.
    Doch stattdessen grinste er, als würde ihm plötzlich ein Licht aufgehen.
    »Ich weiß sehr wohl, mit wem ich hier rede«, knurrte er. »Netter Versuch, was?«, wandte er sich an den zweiten Wächter. »Die Ähnlichkeit ist da und passend verkleidet ist sie auch. Sogar die richtigen Sätze haben sie ihr beigebracht, damit sie uns hier die Stadtprinzessin vorspielen kann.« Und an mich gewandt bellte er wieder: »Aus welchem Bordell kommst du? Welcher von den jungen Herren hat dich ins oberste Stockwerk geschmuggelt und dich bezahlt, damit du dem Bräutigam am Zeremonienmorgen diesen Streich spielst und als seine Versprochene verkleidet in sein Bett kriechst?«
    Es war das erste Mal in meinem Leben, dass es mir vollkommen die Sprache verschlug. Meine Mutter hatte mich Beherrschung gelehrt und mein Vater Verhandlungsgeschick und das Warten auf den richtigen Zeitpunkt. Aber an diesem schrecklichen Tag war nichts mehr so, wie ich es kannte. Am allerwenigsten ich selbst. Ganz von selbst tat ich etwas, das gar nichts mit der Canda zu tun hatte, die ich bisher gewesen war. Ein Teil von mir beobachtete fassungslos, wie ich meine Hand zur Faust ballte und ausholte. Der Schlag brachte mich selbst aus dem Gleichgewicht, und meine Hand schmerzte, so fest hatte ich zugeschlagen. Ich sah noch, wie Blut von der wulstigen Unterlippe des Wächters auf den makellosen weißen Kragen tropfte. Dann geschah alles so schnell, dass ich nicht folgen konnte. Ich hatte noch nie in meinem Leben richtigen Schmerz kennengelernt. Umso überraschter war ich, wie weh ein Hieb gegen die Rippen tat. Für einige Augenblicke tanzten nur grelle Zacken von Schmerz vor meinen Augen, die Luft schien aus meinen Lungen gesaugt zu werden. Eine Sekunde später fand ich mich zusammengekrümmt auf dem Boden kniend wieder, ein Arm über meiner Kehle drückte so fest zu, dass ich nicht einmal mehr schreien konnte.
    »Du legst es also darauf an, ja?«, zischte der Leibwächter mir ins Ohr. Neuer Schmerz zuckte durch meinen Körper. Der Kerl hatte mir einen Arm verdreht, ich krümmte mich und keuchte, aber ich konnte nicht einmal aufschreien.
    »Loslassen«, befahl eine leise Stimme. »Sofort.«
    Wie eine Marionette, deren Fäden abgeschnitten worden waren, fiel ich vornüber.
    Marmor kühlte meine glühende Wange, dann hüllte eine andere Umarmung mich ein – und der vertraute Duft von Zedernholzparfüm. Vor Schock und Erleichterung begann ich zu schluchzen und klammerte mich zitternd an meine Mutter.
    »Hör auf zu weinen«, befahl sie. »Los, steh auf.«
    Wie immer klang ihre Stimme sachlich, die Besorgnis hörte man kaum hindurch. Meine Eltern mussten direkt von einer der nächtlichen Besprechungen aus den Konferenzsälen gekommen sein. Sie waren in geschäftliches Grau gekleidet; mein Vater hatte Tintenflecken am Zeigefinger. Ihre beiden Leibwächter – altgediente Männer, die ich schon kannte, so lange ich lebte, hatten sich zwischen mir und den Türwächtern aufgestellt.
    »Bist du verletzt?«, fragte meine Mutter. Ich schüttelte den Kopf, obwohl meine Rippen stachen und brannten, und würgte die restlichen Tränen herunter. Eine Moreno weint nicht , hallte mir eines der ehernen Gesetze unserer Familie im Kopf. Behutsam, aber
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