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Der Duft des Sussita

Der Duft des Sussita

Titel: Der Duft des Sussita
Autoren: Robert Scheer
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doch die Wahrheit.
    Und als Yaki diese Dinge sagte, stand plötzlich eine Gestalt vor uns, es war kein anderer als Tomer, der mit dem Bus hierhergekommen war, ich dachte an die vielen Kinder, die Tomer heute möglicherweise produziert hatte, er reichte seinem Freund Yaki die Hand und mir auch, er lächelte uns zu und ging hinein, um sich einen Kaffee zu holen. Arbeitseifer, murmelte Yaki vor sich hin und zündete sich die nächste Zigarette, Marke Nobles, an.

ALTISACHEN
    Es hupte. Hartnäckig und irritierend.
    In Israel hupt man nur so. Meistens ohne Grund. Zum Spaß oder aus purer Langeweile.
    Die Menschen scheinen hier heiß zu sein, entflammt wie das Klima, und umgekehrt scheint das Klima so gut wie immer feurig zu sein, genauso flammen- und purpurrot wie die Eroberer der Erde und des Kosmos, nämlich wir, die Zweibeiner. Eine erstaunliche Wechselwirkung zwischen Mensch und Natur. Dissonanz. Disharmonie. Kakophonie.
    Bauchtanz.
    Atonaler Glanz.
    Null Toleranz.
    Fast ununterbrochen ist dieser unangenehme, durchdringende Missklang zu hören. Wie die hypnotisierenden Töne einer arabischen Flöte, die eine Schlange zum Tanzen zwingen. Ohne jede Notwendigkeit wird zur Hupe gegriffen, es wird nicht lange gegrübelt: hupt man oder hupt man nicht. Hupen!
    Naturgemäß.
    Hupen.
    Wenn eine schöne Frau zu sehen ist, hupt man.
    Naturgemäß.
    Wenn man einen Freund entdeckt, wird gehupt. Diese Begrüßung ist unausweichlich, eine selbstverständliche Pflicht.
    Jawohl.
    Hupen.
    Naturgemäß.
    Wenn jemand einen Fehler macht, wird gnadenlos gehupt. Geschimpft. Mit geballter Faust wird eine Lektion erteilt, es wird belehrt. Und wieder kopfschüttelnd geschimpft. Abwechselnd belehrt und geschimpft. Die Rechthaberei kennt hier keine Grenzen. Im Verkehr sind alle Schriftgelehrte.
    Das alles ist mir bis zum Überdruss vertraut, und als ich es hinter mir hupen hörte, weigerte ich mich, auch nur den Kopf zu wenden.
    Die Aggressivität auf den Straßen ist so greifbar, dass das Hupen wie ein Beruhigungsmittel wirkt. Man schluckt die Pille und wartet ungeduldig auf die Schmerzbefreiung. Man ist ständig nervös, immer unter Spannung. Atzbani . Alles wird in dieser Region der Welt mit Macht und Gewalt erreicht. Keine der Lösungen hier ist eine Endlösung. Hier gibt es überhaupt keine Lösungen. Die Lösung besteht hier aus Konflikt. Konflikt und mehr Konflikt. Eine Eskalation des Zusammenstoßens. Lösungen sind hier unerwünscht. Nicht machbar. Frieden scheint in diesem Teil der Welt ein unerreichbarer Traum zu sein. Das ist das wahre Gesicht des Nahen Ostens. Sein Profilbild. Sein Porträt. Ohne Bearbeitung, ohne Verschönerung, ohne Photoshop.
    Kommuniziert wird mit wildem Geschrei und Gefuchtel. Und dazu hupt man.
    Naturgemäß.
    Chuzpe.
    Frechheit.
    Das Überqueren der Straßen ist lebensgefährlich.
    Tagtäglich bestätigt sich eines ganz deutlich: Israel ist nicht Europa. Die Väter und Begründer dieses Landes träumten von einer europäischen Insel im Nahen Osten. Das wollten sie alle, fast alle. Eine europäische Kolonie nach dem Muster des europäischen Imperialismus, effektive Verwaltung, aufgeklärter Nationalismus. Europäisch eben. Diese durchaus europäischen Männer, mit ihrem Duft nach Tabak und Kölnischwasser, haben bloß eine Kleinigkeit vergessen, dass nämlich der Nahe Osten nicht Europa ist. Das Selbstverständliche ist nicht selten das Komplizierteste, das Unerwünschte.
    Die Straßen in Israel sind ein Kampfplatz, auf dem der Starke gewinnt. Der Starke hupt heftiger, macht keine Kompromisse, erreicht sein Ziel schneller. Dem Starken ist alles egal, er sieht kein Schild, keine Ampel, hält sich an keine Verkehrsregel. Warum sollte er auch?
    Immer wieder sieht man dasselbe Bild, ein Bild der Aggression und Ungeduld, das Gesetz der Faust und der haarigen Brust. Immer laut, immer hitzig: Hupen. Hupen. Hupen.
    Und genau deshalb drehte ich mich nicht um.
    Mit der Zeit bemerkte ich, dass vielleicht doch ich gemeint sein könnte.
    Nun gut, sagte ich mir und wandte zumindest den Kopf.
    Plötzlich hörte ich folgende Worte: Altisachen, altisachen, konim hakol, altisachen, altisachen.
    Ein noch nicht alter, aber auch nicht mehr junger Mann saß in einem großen weißen VW . Ein Altwarenhändler. Er fährt von einer Stadt zur anderen, von einem Viertel zum anderen, von Haus zu Haus, ist immer auf der Suche nach alten Sachen. Wir kaufen alles, alte Sachen, alte Sachen. Stühle, Tische, Kühlschränke, Betten. Altisachen.
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