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Der Duft des Sussita

Der Duft des Sussita

Titel: Der Duft des Sussita
Autoren: Robert Scheer
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der Mutter saß. Platz hatten wir mehr als genug. Der Sussita war bequem und enorm groß. Mehr konnte man sich nicht wünschen, sagte mein Vater ein paar Mal. Meine Mutter nickte. Ich nickte. Mein Bruder nickte.
    Ich habe Hunger, sagte mein Bruder.
    Keine zehn Kilometer saßen wir in dem Sussita, und er hatte Hunger.
    Tatsächlich hatten wir an dem Tag nichts gegessen, vor lauter Sussita.
    Auch ich hatte Hunger. Sogar meine Mutter hatte Hunger.
    Also Nazareth?, fragte Mutter.
    Jawohl! Nazareth.
    Es dauerte nicht lange bis Nazareth.
    Das Essen war gut gewürzt.
    Wir kehrten zu unserem Auto zurück. Vor lauter Hunger hatten wir ihn fast vergessen. Den Sussita. Jetzt wollten wir zu ihm zurück. Doch wir konnten ihn nicht finden.
    Falsch geparkt?
    Könnte sein.
    Abgeschleppt?
    Um Gottes willen.
    Gestohlen?
    Auf keinen Fall.
    Vergesslichkeit? Orientierungslosigkeit meines Vaters?
    Bist du sicher, dass wir hier geparkt haben?, fragte Mutter.
    Ja, sagte mein Vater. Vielleicht auch weiter oben?
    Ja oder nein?, fragte meine Mutter.
    Nein, ja. Ja, sagte mein Vater.
    Wir suchten nach dem Auto. Wir liefen die Straßen ab von oben nach unten. Kreuz und quer. Wir sahen Werkstätten mit Bergen von Motoren und Keilriemen und Reifen und anderen Autoteilen, große und kleine.
    Die eine moderne Werkstatt war auf das Ausschlachten von Autos spezialisiert, während eine andere, heruntergekommene, aussah wie ein Autofriedhof. Tote Autos und kranke Autos. Alle Arten, sortiert nach Typen, aus verschiedenen Jahren, guten und schlechten Zeiten.
    Auch Autos, die Schönheitsoperationen zu überstehen hatten, sahen wir. Bunte und weiße. Öffentliche Busse und private. Autos. Meere und Ozeane von Wagen. Schöne und hässliche, praktische und unpraktische. Leichte und schwere Autos. Lange und kurze Autos. Breite und schmale, attraktive und abstoßende.
    Wir sahen auch überall unorganische Wesen, Gummi und Eisen und Stahl und Blech. Mechanik und Technik. Fortschritt der Menschheit und ihr Untergang.
    Haufen von verbogenen Scheibenwischern sahen wir in anderen kleineren Werkstätten. Kaputte und brauchbare Autoreste. Viele alte Autos und einige neue. Verkrüppelte und blinde und verbrauchte und lahme und aussätzige. Kaputte ausländische Autos und auch – Sussitas. Eine Menge Sussitas. Einer schöner als der andere.
    In einer Hinterhofgarage schien es mir, als hätte ich eine Leiche gesehen. Ich erschrak. Ich konnte nicht atmen. Es roch nach Verbranntem. Ein Geruch, der den Magen umdreht. Mich ekelte dieser Geruch. Mir wurde schwindlig. Und übel. Mein Kopf drehte sich so schnell, als wäre ich betrunken. Ohne Kontrolle. Wo bin ich? Wer bin ich? Ich hielt mir mit einer Hand den Kopf, mit der anderen den Bauch. Ich atmete schnell. Dann langsam. Einatmen und Ausatmen. Atmen. Wollte mich übergeben. Musste. Dann fragte meine Mutter etwas. Ich verstand sie nicht. Was?
    Es ist keine Leiche, sagte ich.
    Was sagst du?, fragte meine Mutter.
    Nur Motoren, Automotoren, Leichenteile von Autos, viele kaputte Autos, sagte ich.
    Neben der Hinterhofgarage stand ein Sussita. Dieser Sussita war blau. Unserer weiß. Danach entdeckte mein suchender Blick einen anderen Sussita. Schwarz. Wie der Tod. Hässlich. Und schön. Ich betrachtete den schwarzen Sussita noch einige Augenblicke, bis eine verschleierte Frau ihn verdeckte. Unwillkürlich blickte ich zum Himmel. Viele große Wolken und heiße Luft. Alles trocken. Ich schwitze. Mit meiner Zunge befeuchte ich meine Lippen. Ich schaue ins Leere. Eine Taube. Weiß? Grau? Eine wilde Taube. Autogeräusche. Ein Renault 12 und ein Peugeot 405, oder ist es ein 505? Ein Wagen, gezogen von einem Esel. Ein Auto dahinter hupt. Irritierend und laut. Der Fahrer schimpft auf Arabisch. Der Jüngling, der den Esel führt, bittet um Geduld. Das Auto überholt. Ein Subaru.
    Hier ist er!, rief mein Bruder. Ich habe ihn gefunden!
    Endlich, sagte mein Vater und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
    Tatsächlich: ein weißer Sussita.
    Aber nicht unserer. Nur so ähnlich wie unserer. Neu und weiß und groß. Nein. Nicht unserer. Wir suchten weiter. Fanden ihn aber nicht. Wir fanden uns am selben Parkplatz wieder, an dem wir ihn geparkt hatten.
    Mein Bruder rief uns und zeigte auf eine Autoscheibe. Ein Motor war auch da. Wie ein Skelett. Nein. Kein Knochen. Herzmuskel. Ja. Das Herz.
    Offensichtlich ein Sussita-Motor.
    Was war passiert.
    Wir waren ratlos.
    Atemlos.
    Wir fragten einen Araber, ob er vielleicht unser Auto gesehen
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