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Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds
Autoren: Rosa Zapato
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müde, um sich noch die Schminke abzuwaschen. Dafür war morgen Zeit genug.
    Als sie sich das Kleid über den Kopf ziehen wollte, hörte sie den Schlüssel in der Tür. Sie erschrak, doch hier im wohlhabenden Charlottenburg gab es weitaus lukrativere Adressen für einen Einbruch, und zudem verfügten Einbrecher gewöhnlich nicht über Wohnungsschlüssel. Als ihr klar wurde, um wen es sich handelte, atmete sie zwar erleichtert auf, war aber auch ein wenig verärgert, derart in ihrer Privatsphäre gestört zu werden. Vielleicht war es keine gute Idee gewesen, Harry einen Schlüssel zu geben.
    Er spazierte auch schon herein. Die Kappe saß schräg auf seinem Kopf, das Hemd war schief geknöpft, und das hellbraune Haar wucherte in alle Richtungen. Alice fühlte ein warmes Kribbeln in ihrem Unterleib. Harry stand nichts besser als schlampige Lässigkeit.
    »Nun, wie erging es meiner Schneekönigin heute Abend? Hat sie all die kultivierten Schöngeister mit ihrem unterkühlten Charme bezaubert?«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er zur Kommode, schenkte sich Portwein ein und zog eine Zigarette aus Alice’ Packung. Sie protestierte nicht. Harry zu versorgen gehörte zu den niemals ausgesprochenen, aber allmählich gewachsenen Regeln ihrer Beziehung. Er hatte sie Otto Julius Bierbaum und anderen einflussreichen Kritikern der Kunstszene vorgestellt. Zwar hatte sie als Kellnerin im Café Josty bekannte Literaten bedient, doch hätte sie niemals den Mut aufgebracht, diese mit ihren persönlichen Belangen zu behelligen. Harry besaß jedoch den beneidenswerten Vorzug eines frechen Mundwerks, kombiniert mit Gleichmütigkeit, sodass er abweisende Reaktionen gelassen hinnahm. Man fragt einfach so lange, bis jemand Interesse zeigt, lautete sein Prinzip. Ohne seine Unterstützung wäre es nicht zu der heutigen Ausstellung gekommen. Als Gegenleistung bot sie Harry bei seiner Odyssee von einer Arbeitsstelle zur anderen und den wechselnden Wohnsitzen einen Rettungsanker, wann immer es ihm danach verlangte. Seine Besuche fielen unregelmäßig aus und wurden so gut wie nie angekündigt. Sie störte sich nicht wirklich daran. Ein derart unzuverlässiger Liebhaber hatte seine Vorteile, da er keine falschen Hoffnungen weckte.
    »Es lief gut«, beantwortete Alice seine Frage. »Ich habe ein paar Bilder verkauft. Mit etwas Glück bekomme ich einen Auftrag, für die Münchner Kunstzeitschrift ›Jugend‹ ein paar Illustrationen anzufertigen. Einer der Besucher der Ausstellung fragte mich, ob ich Interesse hätte.«
    Nun, da es ausgesprochen war, begann Alice das ganze Ausmaß des Erfolges zu begreifen. Sie brauchte sich keine Sorgen mehr zu machen, ob sie diese winzige Wohnung auf Dauer bezahlen konnte. Die Arbeit im Café Josty würde sie auf drei Tage in der Woche reduzieren, um sich in Ruhe der Malerei widmen zu können. Vielleicht machte es nun Sinn, sich um eine Aufnahme im Verein der Berliner Künstlerinnen zu bewerben. Bisher hatte ihr dazu schlichtweg die Zeit gefehlt. Ohne zu überlegen, schenkte sie sich ebenfalls ein weiteres Glas Portwein ein. Wenn es einen Tag gab, an dem sie sich betrinken durfte, dann war es dieser.
    »Na, dann auf deine Zukunft, meine Schöne«, meinte Harry grinsend und stieß mit ihr an. »In ein paar Jahren hängen deine Arbeiten vielleicht Unter den Linden. Wer könnte einer Frau wie dir einen Wunsch verweigern?«
    Alice fühlte Ärger in ihrem Magen kribbeln, was nicht allein an seinem unüberhörbar spöttischen Tonfall lag.
    »Es geht dabei um meine Bilder, nicht um mein Aussehen«, meinte sie und erschrak selbst ein wenig über ihren eisigen Tonfall. Harry lachte auf.
    »Dein Aussehen könnte dir durchaus helfen, denn Kunstkenner sind Ästheten«, widersprach er gelassen. »Leider weigerst du dich, es zu deinem Vorteil einzusetzen. Aber so bekomme ich wenigstens keine Konkurrenz.«
    Er legte seine Arme um Alice’ Taille, hob sie hoch und trug sie zielstrebig zu dem Bett, wo sie sich vor einer Weile in Ruhe hatte hinlegen wollen. Nun spürte sie Wellen freudiger Erregung durch ihren Körper strömen, obwohl eine leise Stimme in ihrem Kopf flüsterte, dass sie sich wie die Heldin eines schlechten Liebesromans benahm, die dem frechen Charme des charakterlosen Schurken erlag. Doch leider hatte dieser Charme tatsächlich eine unwiderstehliche Wirkung auf sie.
    Sie hatte Harry im Café Josty kennengelernt, wo er bei seinen gelegentlichen Besuchen durch schlampige Kleidung, blendendes Aussehen und freche
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