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Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds
Autoren: Rosa Zapato
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aus seinen Mundwinkeln getropft, und seine Augen hatten ins Leere geblickt, während man ihn an den Haaren die Stufen des Tempels hinaufzog. Ich hatte ihn niemals zuvor so hilflos gesehen und wusste zudem genau, was ihm bevorstand. Er war noch auf die alte Weise geopfert worden: Man hatte die Adern an seinen Händen und Füßen mit Dornen durchstochen, seine Mundwinkel bis zum Kiefer aufgeschnitten, um möglichst viel Blut aus seinem Körper fließen zu lassen, bevor man ihn durch ein Abschlagen des Kopfes von aller Qual erlöste. Damals hatte ich mir eingeredet, dass es nicht wirklich er selbst war, der da vor meinen Augen verblutete, und es war mir gelungen, während der Zeremonie ruhig zu bleiben.
    Nun, da ich den kleinen, dunklen Raum des Tempels betrat, begriff ich, wie sehr Ahmoks Tod mich verändert hatte. Ich hatte vorher zahlreiche Menschenopfer gesehen, bereits in meiner Heimatstadt Tikal, doch sie waren mir stets als notwendige Erfüllung göttlicher Wünsche erschienen. Aber damals wusste ich, dass Ahmok bei den Sklaven und Bauern gegen die Priester gesprochen hatte, deren Lebenswandel er als ihr Diener unmittelbar miterlebte. Dann war er als Opfer erwählt worden. Ich sah die grimmige Entschlossenheit in den Augen des Hohen Priesters, seine Befriedigung, nachdem die Aufgabe ausgeführt war. Ganz leise war der Zweifel in mir erwacht, so wie ein dünner Ast aus der Erde sprießt, um über die Jahre zu einem Baum zu wachsen. Ahmoks Tod hat das Unheil nicht von Lakamha’ abgewandt. Es trifft uns nun mit dreifacher Kraft – durch Krankheit, verdorrte Ernten und durch die Tonina.
    Aber wieder stand ich nur da und sah zu, wie nacheinander alle drei Gefangenen ausgestreckt wurden, damit ein Priester ihnen nach langen rituellen Gesängen das Herz aus der Brust schneiden konnte. Dies ist eine neue, schnellere Art der Opferung, die bei anderen Völkern üblich sein soll. Sie ist weniger schmerzhaft für die Opfer, denn sie sterben schon nach wenigen Augenblicken. Mein einziger Widerstand bestand darin, dass ich die Augen schloss, sobald der zuckende rote Fleischklumpen in den Händen des Priesters lag und das Blut über seine Arme auf das weiße Hemd floss. Mir war schwindelig, und mein Magen schmerzte, als brenne ein Feuer darin. Hilflos griff ich um mich, doch Ix Chel war nicht zugegen, um mir eine Stütze zu sein. Als einfache Frau darf sie den heiligen Raum des Tempels nicht betreten.
    Daher war ihr damals auch der Anblick von Ahmoks qualvollem Tod erspart geblieben.
    Die Leichname wurden fortgeschafft, nachdem ihr Blut in einer Schüssel gesammelt worden war. Dann überreichte der Priester Janaab Pakal ein Messer. Er ergriff es, um seinerseits die Götter um Gunst und Schutz anzuflehen, indem er seinen Lendenschurz anhob und jenem Teil seines Körpers, das einst regelmäßig in den meinen gedrungen war, einen Schnitt zufügte. Sein Gesicht zuckte nur kurz, denn er ist diesen Schmerz gewöhnt. Der Priester hielt ein Stück Stoff hin, um das königliche Blut aufzufangen. Manchmal löst der Verlust von Blut Träume aus, die uns ins Reich der Götter führen, doch mein Gemahl hatte nicht tief genug geschnitten, um eine solche Wirkung zu erzielen. Wir hatten alle nicht viel Zeit. Ich atmete erleichtert auf, sah dieses Ritual als beendet an, doch die Hand des Priesters hielt das Messer plötzlich in meine Richtung. Ich spürte den Blick meines Gemahls, hart und fordernd. Lange war ich zu unwichtig gewesen, als dass die Götter mein Blut verlangt hätten, doch nun war die Not so groß, dass kein Versuch unterlassen werden durfte, sie milde zu stimmen.
    Ich legte meine Finger um den kühlen Stein des Messergriffs. Meine Hände zitterten, und ich fror so erbärmlich, dass ich meine Zähne leise klappern hörte. Dennoch floss der Schweiß über meinen Rücken.
    Die Zunge, beschloss ich. Mir fehlte die Kraft, jener zarten Stelle zwischen meinen Beinen Wunden zuzufügen, obwohl daraus das heiligste Blut einer Königin floss. Meine Mutter, die erste Gemahlin des Herrn über Tikal, hatte ein bohnengroßes Loch in der Zunge gehabt, durch das sie bei Ritualen regelmäßig eine Schnur mit Dornen zog. Mir war es bisher gelungen, mich einer solchen Prozedur zu entziehen. Nun öffnete ich den Mund, um die Klinge in mein Fleisch schneiden zu lassen, doch in diesem Moment verweigerte mein Körper mir den Gehorsam. Speichel quoll auf den Stoff, in dem der Priester mein Blut auffangen wollte, gefolgt von einem gelbgrünen Schleim,
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