Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds
Autoren: Rosa Zapato
Vom Netzwerk:
mich sein müsste, und blickte hoffnungsvoll zu ihm hoch. Janaab Pakal betrachtete mich aus den Augenwinkeln, als ich auf ihn zuschritt. Mir fiel auf, wie sehr er in den letzten Jahren gealtert war. Die Haut an seinen Wangen hing schlaff herab, und ein Bauch wölbte sich wie ein Sack unter seinem Hemd. Dunkle Schatten unter seinen Augen drückten Erschöpfung aus. Wir musterten einander mit verhaltener Abneigung, dann hob mein Gemahl seine Hand als Zeichen zum Aufbruch und zog die Vorhänge zu. Seine Lastenträger, er beanspruchte sogar vier für sich, hievten ihn mit vereinten Kräften in die Höhe. Sogleich wurden auch die Sänften der Priester angehoben und schließlich die der fürstlichen Gemahlinnen. Die Kolonne begann, sich zu bewegen.
    Ich begriff, dass ich zu Fuß gehen musste wie die Bediensteten. Sollte es die Strafe dafür sein, dass ich im Tempel das Missfallen der Götter geweckt hatte? Janaab Pakals Denken habe ich niemals wirklich begreifen können, es ist von Launen und plötzlichen Eingebungen bestimmt. Allerdings hört er auf seinen Neffen, den Hohen Priester. Doch wer auch immer über mein Schicksal entschieden hat, ändern konnte ich daran nichts.
    Ix Chel hat stützend ihren Arm um mich gelegt, denn wenigstens die Bündel wurden uns von ein paar Sklaven abgenommen. Ich setze Fuß vor Fuß, obwohl das Feuer in meinen Eingeweiden brennt und jeder Schritt meinen Körper schwerer werden lässt. Über mir höre ich Vögel kreischen und sehne mich danach, dass U-Ch’ix-K’an aus dem grünen, feuchten Dickicht des Waldes flattert, um auf meiner Schulter zu landen. Ich glaube, außer Ahmok habe ich nur diesen Vogel wirklich lieben können.
    Ich weiß nicht, welchen Weg die Priester gewählt haben, um uns an den Kriegern der Tonina vorbeizuführen, und in welcher Stadt wir noch mit einer freundlichen Aufnahme rechnen können, obwohl Lakamha’ den Fluch der Götter auf sich zog.
    Aber ganz gleich, wohin diese Reise auch geht, ich, Mayauel, Tochter des großen Herrschers von Tikal, Gemahlin des Janaab Pakal, werde das Ziel nicht mehr lebend erreichen.

Alice zog die Vorhänge zurück und lehnte sich aus dem Fenster. Vor ihr lag eine breite, von Kutschen und Trambahnen befahrene Straße, die auch kurz vor Mitternacht nicht ganz zur Ruhe kam. Sie liebte die Geräusche der Großstadt, deren Vertrautheit sie gewöhnlich beruhigt in den Schlaf sinken ließ, doch diesmal hielt die Aufregung sie wach. Morgen war Sonntag, sie würde so lange schlafen können, wie es ihr gefiel, da sie seit zwei Monaten nicht mehr an den Wochenenden arbeiten musste.
    Sie trat zu der alten Kommode und schenkte sich ein Glas Portwein ein. Zwar hatte sie bereits genug Champagner getrunken, aber das Gefühl der Euphorie floss mit solcher Kraft durch ihre Adern, dass sie für andere Rauschzustände unempfänglich wurde. In ihrem Ohrensessel sitzend, nippte sie an dem Glas und zündete eine Zigarette an. Das Rauchen gehörte zu den Lastern, die sie von Harry gelernt hatte, doch beschränkte sie sich aus finanziellen Gründen auf ein Minimum. Sie beobachtete, wie der Rauch langsam zur Zimmerdecke schwebte. Der Putz wies schwarze Flecken auf, die noch vom Vormieter oder dessen Vorgängern aus dem vergangenen Jahrhundert stammen mussten. Die Tapete war an zahlreichen Stellen vergilbt, und das Polster, auf dem Alice saß, sah aus, als wäre ein Unbekannter mit einem Messer darauf losgegangen. Kurz meinte sie, die Stimme ihres Vaters zu hören, der ihr eine Zukunft in Schmach und Elend prophezeit hatte, als sie sein Haus verließ. Diese Wohnung wäre für ihn nur ein erster Schritt in diese Richtung gewesen. Alice verjagte entschlossen den Schatten von Unbehagen, der sich plötzlich in ihre Welt geschlichen hatte. In dieser neuen Wohnung, die sie am vierten Februar 1903 hatte beziehen können, gab es wenigstens kein Ungeziefer, und die Nachbarn schrien nachts nicht herum. Zwar verfügte sie nur über ein einziges, schäbiges Zimmer, aber ihre erste Ausstellung war ein Erfolg gewesen. Darauf vor allem kam es an.
    Sie leerte ihr Weinglas und fühlte, wie wohlige Wärme sich in ihrem Körper ausbreitete. Nun würde sie friedlich schlafen können und morgen in Ruhe über jenes Problem nachdenken, das wie ein unsichtbarer Stein auf ihrer Seele lastete. Mit geübtem Griff zog sie die Nadeln aus ihrem Haar. Schmetterlinge und verspielte Blüten aus Schmucksteinen zierten sie gemäß der neuesten Mode. Alice streifte ihre Strümpfe ab. Sie war zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher