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Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds
Autoren: Rosa Zapato
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stammte und hier Schullehrer gewesen war, bevor sie ihn wegen aufwieglerischer Reden einsperrten. Von ihm habe ich erfahren, dass es inzwischen in diesem Land viel mehr Leute wie mich gibt, als ich jemals gehofft hatte.«
    »Du meinst studierte Indianer?«, fragte Alice staunend, denn sie hatte bisher nicht gedacht, dass es allzu viele davon geben konnte.
    »Ich meine Menschen, die mit der aktuellen politischen Lage so unzufrieden sind, dass sie sich nicht weiter fügen wollen. Es beginnen sich Gruppen zu formen, die einen Sturz von Porfirio Díaz anstreben und eine Neuverteilung unseres Landes, das er ausländischen Siedlern zu einem Spottpreis überließ, wünschen.«
    Alice fuhr erschrocken zusammen und blickte zur Tür. Für Hans Bohremann wären solche politischen Bestrebungen eine derartige Bedrohung, dass er bei ihrer Bekämpfung vielleicht auch seinen Anstand vergessen würde.
    »Schon gut, ich weiß, dass ich nicht zu laut reden darf«, beruhigte Andrés sie.
    »Diese Gruppierungen sind doch sicher nicht neu«, erwiderte Alice nach kurzem Überlegen. »Überall auf der Welt gibt es Unzufriedene, die die gegebene Ordnung umkehren wollen. Meistens handeln sie sich dadurch nur eine Menge Ärger ein.«
    »Ich weiß. Als ich in Ciudad de México studierte, hörte ich auch von Anarchisten und Kommunisten und hielt sie für weltfremde Träumer. Damals fühlte ich mich meinem alten Patron noch zu Dankbarkeit verpflichtet, da er mir die Ausbildung zum Ingenieur ermöglichte. Doch als ich dann zwangsweise nach Chiapas zurückkehren musste, da sah ich plötzlich alles, vor allem die Lage meiner Leute, mit anderen Augen.«
    Alice griff nach der Karaffe und schenkte ihnen beiden Limonade ein. Dann setzte sie sich zu Andrés auf das Bett.
    »Was also hast du jetzt vor, wenn du nicht bei Hans Bohremann bleiben willst?«, fragte sie.
    »Ich möchte wieder nach Ciudad de México. Dort wird die Politik dieses Landes gemacht. Ich will mir eine Arbeit suchen, die mich am Leben hält, aber nicht mehr nur an mich selbst denken, sondern dabei mithelfen, dass die Dinge sich in Mexiko zum Besseren wandeln.«
    »Bist du dir sicher, dass es nicht nur dein persönlicher Rachefeldzug gegen Hans Bohremann ist?«, fragte Alice. Andrés wurde nicht wütend, er schüttelte nur den Kopf.
    »Ich habe nichts gegen Hans Bohremann. Als Patron ist er nicht einmal besonders übel. Aber er ist Teil eines Systems, das mein Volk versklavt.«
    Alice nippte an ihrer Limonade und sah ihn schweigend an. Er wollte ein Revolutionär werden wie Harry, doch er würde sich dabei nicht nur auf schöne Reden beschränken. Als sie sich seine Zukunft genauer auszumalen begann, zog ihr Magen sich vor Angst zusammen. Mit Aufwieglern ging man in diesem Land vermutlich noch härter um als in ihrer Heimat.
    Sie wusste nicht, was sie nun sagen sollte. Lieber hätte sie ihn heil und sicher im Dienst von Hans Bohremann gewusst, aber dies hätte bedeutet, dass er seine eigene Überzeugung aufgab.
    Staunend spürte sie, wie er seine Hand zaghaft auf die ihre legte.
    »Was ist nun mit dir, Alice? Willst du wirklich nach Mexiko zurückkommen?«
    Sein Blick war offen wie immer, doch sie bemerkte erstmals die Angst vor einer Zurückweisung darin. Er fuhr ihr sanft durchs Haar, spielte mit den silberblonden Strähnen, so wie er es in ihrer ersten Liebesnacht getan hatte.
    »Eine Frau wie du könnte wahrscheinlich jeden Mann haben, den sie will«, sagte er völlig ernst. Alice hielt sich die Hand vor den Mund, ein erfolgloser Versuch, ihr Lachen zu unterdrücken.
    »Also, dafür müsste ich mir das Reden abgewöhnen, denn mein betörender Charme treibt die Männer meist in Sekundenschnelle in die Flucht. Und kaum lerne ich einen kennen, den ich wirklich will, da versucht er auch schon, mich loszuwerden.«
    Obwohl sie einen scherzhaften Ton angeschlagen hatte, schlich sich ein Hauch von Bitterkeit in ihre Worte.
    »So war es nicht gemeint«, erwiderte Andrés stirnrunzelnd. »Und bevor du dich gleich wieder in eine Kratzbürste verwandelst, höre mir bitte zu.«
    Er ergriff ihre Hand und hielt sie fest, obwohl Alice einen ersten trotzigen Versuch unternahm, sie ihm wieder zu entziehen. »Als ich mein Dorf verließ, um zu studieren, da verstieß mich mein Vater«, erzählte er. »Ich hatte keine Familie mehr. Doch für die meisten Leute in Ciudad de México blieb ich ein dreckiger Indio, der lieber seine Milpa bewirtschaften sollte, als Maschinen zu entwerfen. Ich fühlte mich wie
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