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Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds
Autoren: Rosa Zapato
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sich sehr großzügig gezeigt, als er ihr Geld für die Rückreise überreichte. Andrés erwarb einen europäischen Anzug und eine neue Brille, sodass er weniger indianisch wirkte und als ihr vermeintlicher Ehemann akzeptiert wurde, mit dem sie ein Zimmer teilte. Julio nahm freiwillig eine Rolle als Diener an und schlief in einem kleinen Nebenraum. Sie besuchten abends den Zócalo und sahen zu, wie Paare den Danzon tanzten, tranken gemeinsam köstlichen Kaffee und aßen in Restaurants. Es war geliehene Zeit, ein kurzer letzter Aufschub einer unausweichlichen Trennung, und jede Sekunde schien sie enger aneinanderzuschweißen. Alice gewöhnte sich an die verwunderten, mitunter empörten Blicke mancher Europäer und auch Mexikaner, wenn sie Arm in Arm mit einem dunkelhäutigen Mann durch die Stadt spazierte. Wenn es dabei bleiben würde, ließe es sich ertragen. Manchmal wurden auch Andrés lachend Kommentare zugerufen, die Alice nicht verstand und die er nur zögernd zu übersetzen bereit war.
    »Sie beneiden mich und wollen wissen, wie ich es geschafft habe, mir eine Extranjera aus dem Bilderbuch zu angeln«, erklärte er schließlich, nachdem Alice hartnäckig gedrängt hatte. Sie konnte sich recht gut erinnern, wie wütend derartige Reaktionen sie nach ihrer Ankunft in Mexiko gemacht hatten. Nun fand sie es nicht einmal mehr schlimm, als Trophäe betrachtet zu werden, weil sie wusste, dass sie für Andrés keine war.
    Am Vorabend ihrer Reise zogen sie sich früh in ihr Hotelzimmer zurück, um die letzten Stunden miteinander allein sein zu können. Alice schob den letzten Rest des Geldes von Hans Bohremann in Andrés’ Beutel, als er bereits eingeschlafen war. Sie wusste, dass er zu stolz wäre, ein solches Geschenk anzunehmen, doch sie wollte ihm die Reise nach Mexiko-Stadt erleichtern, damit er sich dort in Ruhe eine Arbeit suchen konnte, die seinen Fähigkeiten entsprach. Die Urkunde mit dem Ingenieurdiplom hatte Hans Bohremann ihm freiwillig überreicht, bevor sie die Hazienda verließen. Dann kroch sie wieder zu ihm unter die Decke und schmiegte sich an den glatten, kupferfarbenen Körper, der noch bis zum Morgengrauen ganz allein ihr gehörte.
    Sie hatte sich ausgemalt, wie sie Andrés noch einmal umarmen und mit jenen Liebesworten überhäufen würde, die auszusprechen ihr weiterhin schwerfielen, aber es wurde ein hektischer Abschied in einem Gedränge von Menschen. Überall wurde geweint, gelacht und lautstark geredet, sodass sie einander nur »bis bald« zurufen konnten, bevor Alice sich auf den Weg zu dem Ozeanungetüm machte. Im Grunde war sie froh, dass jener schmerzliche Schritt der Trennung von dem Mann, der etliche Wochen lang fester Bestandteil ihres Lebens gewesen war, auf so schnelle Weise vonstattengehen musste, denn sie vergoss nicht gern Tränen in der Öffentlichkeit. Wieder hatte sie sich ihr Ridikül um den Hals gehängt. In einer Hand trug sie den Koffer, mit dem anderen Arm hielt sie Mariana umschlugen, die ihr Dasein als Schoßhund in Europa fortsetzen sollte. Andrés hatte dafür gesorgt, dass ihre Staffelei und die bereits fertigen Bilder von Lastenträgern transportiert wurden. Sie irrte durch das Getümmel, bis sie ihre kleine Kabine gefunden hatte, die nun für die nächsten Wochen ihr Zuhause wäre. Ein kurzes Winken an der Reling war ihr noch vergönnt, doch sie konnte jene beiden Menschen, die ihr so ans Herz gewachsen waren, in der bunt zusammengewürfelten Menge nicht entdecken. Dann flüchtete sie wieder in die Stille ihrer Kabine.
    Schließe Frieden, hatte Andrés ihr geraten. Aber wie sollte sie es schaffen, sich mit Tante Grete zu vertragen, wenn sie einander niemals wirklich verstanden hatten? Sie wusste nicht, was sie erwartete, und als der Dampfer auf den weiten Ozean hinausfuhr, wurde ihr bewusst, dass sie nun ebenso ins Ungewisse fuhr wie auf der Reise nach Mexiko. Sie hatte nicht einmal eine genaue Ahnung, wie viel Geld ihr bleiben würde, nachdem Tante Grete und alle wichtigen Angestellten ausbezahlt worden waren. Es wäre sicher eine Erleichterung, nicht mehr ums tägliche Überleben kämpfen zu müssen, doch sie ahnte, dass nun neue Verpflichtungen und Sorgen auf sie zukamen. Würde man sie als unverheiratete Frau überhaupt frei über das Vermögen verfügen lassen, oder gäbe es irgendeinen Vormund?
    Eine weitere Reise nach Mexiko könnte sie mit Sicherheit finanzieren, beruhigte sie sich, sank auf ihr Bett und schloss die Augen.
    Bilder zogen an ihr vorbei. Sie
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