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Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds
Autoren: Rosa Zapato
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sie geben, als Arbeitskräfte Geld zu verdienen.«
    Und wenn sie dabei nicht spurten, würden sie an Bäumen aufgehängt werden, dachte Alice. Vielleicht konnten sie auch in die Stadt ziehen, um dort betrunken neben den Gehsteigen zu liegen, die sie nicht betreten durften. Aber sie wusste, dass es keinen Sinn hatte, Hans Bohremann dies zu sagen. Er war zu sehr von praktischem, auf Gewinn ausgerichtetem Denken bestimmt, um andere Lebensformen verstehen zu können. Sie selbst hätte vielleicht ähnlich geredet wie er, wenn sie nicht einige Zeit bei den Hach Winik verbracht hätte.
    »Was werden Sie machen, wenn es im Dschungel keine Mahagonibäume mehr gibt?«, fragte sie. Er zuckte gleichmütig mit den Schultern.
    »Es besteht die Möglichkeit, neue anzupflanzen. Oder das Land eben anderweitig zu nutzen. Ein wacher Geist findet immer einen Weg, sich auf veränderte Situationen einzustellen.«
    Sie senkte den Kopf. Diese Diskussion würde sie nicht gewinnen können.
    »Wie Sie meinen, Herr Bohremann. Für wann ist meine Abreise geplant?«
    »Ich dachte an nächste Woche«, antwortete er gutmütig. »Dann können Sie sich noch ein wenig von den Strapazen erholen, die Sie hinter sich haben. Ich muss jemanden finden, der Ihnen Begleitschutz bietet. Mein Schwager ist …«
    Er hob mit einem hilflosen Lächeln die Hände.
    »Manchmal launisch wie eine Diva. Er bezeichnet sich als unpässlich und ist daher außerstande, die lange Reise erneut anzutreten.«
    »Dann soll ihn auch niemand dazu drängen«, erwiderte Alice schnell. In dieser angespannten Lage noch mal gemeinsam durch halb Mexiko zu reisen wäre für sie selbst ebenso schlimm wie für Juan.
    »Natürlich nicht. Ich werde jemand anderen finden, der ebenso zuverlässig ist. Und nun wünsche ich Ihnen eine gute Nacht, Fräulein Wegener.«
    Alice begriff, dass sie entlassen war, verabschiedete sich und trat in den Patio, um die Treppe zu ihrem Zimmer hinaufzugehen. Es war eine angenehm frische Nacht. Irgendwo erklang Gitarrenmusik. Alice atmete die nach Pflanzen und Gewürzen duftende Nachtluft ein. Alles hier roch und schmeckte viel intensiver als in ihrer Heimat. Noch eine Woche, dann würde sie Chiapas verlassen und auch Mexiko.
    Sie wollte nicht, dass es ein Abschied für immer wäre, aber welchen Grund hatte sie, hierher zurückzukommen? Ihr Leben fand in Berlin statt, und wenn sie erst einmal dort war, würde sie sich rasch wieder eingewöhnen. Und hoffentlich bald einen Mann vergessen, der lieber stolz bei seinen Leuten saß, anstatt sich zu ihr zu gesellen. Andrés Uk’um und sie selbst gehörten verschiedenen Völkern an, die beide gegen eine Verbindung zwischen ihnen waren. Vielleicht hatte er einfach nur mehr Vernunft als sie, indem er einsah, wie sinnlos jede Auflehnung dagegen wäre.
    In ihrem Zimmer angekommen, drehte sie die Gaslampe auf und begann, ihre Sachen zu sortieren. Wenn sie sich beschäftigte, versank sie nicht in Schwermut. Zudem sollte ihre nächste Ausstellung bereits im Februar stattfinden, und sie hatte kaum mehr als fünf Bilder vorzuweisen. Bereits auf dem Schiff würde sie anfangen müssen, wieder ernsthaft zu malen. Glücklicherweise mangelte es ihr nicht an Ideen nach all den neuen Eindrücken, die sie in diesem Land gewonnen hatte.
    Sie setzte sich neben Mariana aufs Bett und ergriff ihren Skizzenblock, um erste Entwürfe anzufertigen. Die majestätischen Mahagonibäume mit ihren riesigen Drachenwurzeln wuchsen bald schon in Miniaturform auf einem Blatt Papier. Sie würde sich einen größeren Vorrat an Ölfarben besorgen, um die zahllosen Farbtöne der Landschaft wiedergeben zu können. Dann legte sie dieses Blatt zur Seite und begann eine Frau zu zeichnen, die plötzlich in ihrer Erinnerung aufgetaucht war. Gesichtszüge, die gleichzeitig indianisch und aristokratisch waren. Gelangweilt. Unzufrieden. Verwöhnt. Doch in den dunklen Augen lag ein durch Willenskraft gezähmter, alter Schmerz. Die starren Schultern deuteten Angst an, die durch eine stolze Haltung verborgen werden sollte. Die Frau trug ein bunt besticktes Hemd, wie Alice es an Indianerinnen gesehen hatte, doch es wirkte weitaus wertvoller. An ihren Hüften hing ein Wickelrock, der knapp unter die Kniekehlen reichte. Um ihren Hals lag die schwere Kette aus Halbedelsteinen.
    Wann hatte sie diese Frau gesehen, deren Erscheinung sich so deutlich in ihr Bewusstsein gebrannt hatte, dass sie in aller Klarheit wieder heraufbeschworen werden konnte? Es war ein Traum gewesen,
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