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Der Dschunken Doktor

Der Dschunken Doktor

Titel: Der Dschunken Doktor
Autoren: Heinz G. Konsalik
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unter Kontrolle.«
    »Das Military Hospital ist für eine solche Behandlung nicht eingerichtet, Kommissar Ting!«
    »Sterben kann man in jedem Bett.« Ting lächelte höflich. »Ich möchte, daß sich – wenn das möglich ist – Dr. Melkel ausschließlich um die Sterbende kümmert.«
    Auch Ting Tse-tung war es trotz seines guten Englisch nicht möglich, das zweimalige ›r‹ in Dr. Merker auszusprechen. Nach Chinesenart wurde daraus ein ›l‹. Doktol Melkel. Wang An-tse hob die Schultern und nickte. Was Ting da anordnete, war eine Beleidigung, die er nicht hinnehmen konnte, ohne sein Gesicht zu verlieren. Seit fast zwanzig Jahren tat er seine Pflicht als Arzt – erst als Armenarzt drüben in Aberdeen, später im Gewirr der Dschunken und Sampans im Taifunhafen von Yau Ma Tei, seit vier Jahren als Chef der Inneren und Infektionsabteilung des Krankenhauses Kwong Wah. In seinem Ordinationszimmer hingen Diplome und Belobigungen höchster Stellen. Ihm jetzt den fünften Fall der rätselhaften Krankheit wegzunehmen, war wie eine Ohrfeige.
    »Ich werde Kommissar Ting zur Rechenschaft ziehen!« sagte Wang steif.
    »Bitte, keine Privatfehden!« rief der Stellvertreter des Gouverneurs. »Wir haben genug Sorgen. Dr. Wang, wir sprechen Ihnen unser vollstes Vertrauen aus. Aber wenn Kommissar Ting es für richtig erachtet, die Mörderin unter Militärschutz zu stellen – warum sollen wir uns dagegen wehren?« Er erhob sich. Und da er in dieser Runde der Ranghöchste war, galt die Versammlung als aufgelöst.
    »Was kann die Polizei tun?« fragte jemand.
    »Warten!« antwortete Ting Tse-tung trocken. »Und an ein Wunder glauben …«
    Im Rahmen eines ärztlichen Austauschdienstes, der zwischen Hongkong und dem Deutschen Tropeninstitut in Hamburg vereinbart worden war, war Dr. Fritz Merker vor vier Monaten nach Kowloon gekommen, machte zunächst vier Wochen Urlaub, sah sich sein neues Wirkungsfeld von allen Seiten an, besuchte alle Sehenswürdigkeiten von Hongkong, Kowloon und den New Territories, fuhr an der rotchinesischen Grenze entlang, besuchte auch die Riesenstadt Canton in China und war immer wieder verblüfft und überwältigt von der Vielfalt, Größe und Faszination Hongkongs, das man sich in Europa meist als Fleck auf der Landkarte vorstellt, als eine Art Halbinsel. Daß es hier im Hinterland die Millionenstadt Tsuen Wan gibt, eine Industriestadt mit Hochhäusern, in denen pro Haus bis zu 1.000 Menschen wohnen – meist Chinaflüchtlinge, die hier die umliegenden Hügel und Berge wie Ameisen abtragen, Steine und Erde ins Meer schütten und so Neuland gewinnen für neue Siedlungen –, daß Hongkong ein Gewirr von größeren und kleineren Inseln ist, von großen landwirtschaftlichen Flächen, auf denen Reis angebaut wird, und wo riesige Hühner- und Entenfarmen stehen, von denen die berühmte ›Peking-Ente‹ kommt, die – tiefgefroren – auch in unseren Feinkostläden liegt, und daß hier eine zwar kleine, aber mit asiatischer Geschäftigkeit und Kultur verwurzelte eigene Welt seit Jahrtausenden lebt und überlebt – dies alles wissen die wenigsten im fernen Europa.
    So war auch Dr. Merker nach diesen vier Wochen Urlaub, die in ein einziges Herumreisen ausarteten, süchtig geworden wie so viele, die Hongkong kennenlernen. Und er hatte sich in diese Riesenstadt mit ihrer traumhaft schönen Umgebung verliebt. Als er vor drei Monaten dann seinen Dienst im Queen Elizabeth Hospital antrat, sagte er zum Chef der Klinik gleich nach dem ersten Händedruck: »Ich soll ein Jahr bleiben. Ich fürchte, diese Rechnung ist falsch. An diesen Fleck Erde könnte ich mich gewöhnen.«
    Nach Hamburg schrieb er an seinen Freund Dr. Hans Zeisig, Oberarzt der Chirurgischen II. Klinik in Eppendorf: »Hongkong … das kann man nicht beschreiben. Das muß man sehen, erleben, erhören, erriechen, erfühlen! Das ist eine Welt, in der Märchen und Schrecken verschmelzen. Ein Blick nachts vom Victoria Peak über Hongkong, Kowloon und die Neuen Territorien ist so atemberaubend, daß nichts auf der Welt diesem Ausblick gleichkommt. Wer einmal hier gestanden hat weiß, daß er an diese Stadt verloren ist … Ich glaube nicht, daß ich nach Hamburg zurückkomme.«
    »Das legt sich«, meinte Dr. Zeisig im Freundeskreis, wo man den Brief vorlas, »spätestens dann, wenn Fritz in einer der Gassen eins über den Schädel bekommt und ausgeplündert aufwacht. Was er nämlich nicht schreibt: Ihn haben die schwarzäugigen Weiber aus den Schuhen gehoben!
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