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Der Dschunken Doktor

Der Dschunken Doktor

Titel: Der Dschunken Doktor
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ging zur Tür und öffnete sie.
    Dr. Wang An-tse war ein Mann von 41 Jahren, schlank und für einen Chinesen mit 1,78 sehr groß. Er kleidete sich elegant wie alle wohlhabenden Hongkong-Chinesen, trug einen hellgrauen Seidenanzug, ein blütenweißes Hemd und eine hellgraue Seidenkrawatte mit eingewebten silbernen Sternchen. Hinter der Goldbrille blickten ruhige Augen über die Versammlung. Seine Körperhaltung beim Gehen drückte Überlegenheit und Sicherheit aus und einen Anklang von Manieriertheit. Er ging zu dem Tisch, an den sich bei seinem Vortrag Ting gelehnt hatte, und schob die Hände in die Taschen des seidenen Sakkos.
    »Ich nehme an, Dr. Wang, Sie haben einen gründlichen medizinischen Bericht vorbereitet«, sagte der Polizeichef, bevor Dr. Wang sprechen konnte. »Bitte, reichen Sie uns diesen schriftlich ein. Wir sind alle medizinische Laien und verständen doch nur die Hälfte. Dürfen wir Ihnen statt dessen Fragen stellen?«
    »Ich stehe zur Verfügung«, antwortete Dr. Wang und verbeugte sich höflich. Sein Gesicht blieb dabei unbewegt.
    »Sie haben vier der rätselhaften Täter bis zu ihrem Tode betreut?«
    »Ja.«
    »Sie alle fielen in ein Koma, ohne vorher einen Ton gesagt zu haben?«
    »So war es, Sir.«
    »Woran starben sie? Bitte, volkstümlich ausgedrückt …«
    »An einer Totalzersetzung der Leber. Die Obduktion ergab immer das gleiche Bild: Irgendeine Infektion, ein Virus oder sonstwas – wir wissen es nicht! – löst das Lebergewebe auf. Die Leberzellen zerfallen, es kommt zu einer Komplettvergiftung des Körpers, zum Koma hepaticum, zum Tod. Die Leber ist die wichtigste chemische Komponente unseres Körpers, die chemische Zentrale. Ohne Leber geht nichts mehr. Ihre Funktion bestimmt unser Gesundheitsbild, vom Eiweißstoffwechsel bis zur Entgiftung des ganzen Körpers. Deshalb sind massive Leberschädigungen immer problematisch und oft irreparabel. Noch nie aber haben wir gesehen, und es gibt in der gesamten medizinischen Literatur keine Erwähnung dieser Art, daß eine Leber in so kurzer Zeit geradezu zerfällt zu einem jauchigen Brei. Wir stehen vor einem Rätsel.«
    »Und diese fürchterliche Krankheit trat nur bei den vier Mördern auf?«
    »Ja.«
    »Unheimlich«, stotterte der Abgeordnete des Legislativrates. »Verdammt unheimlich. Mein Gott, wenn das in der Öffentlichkeit bekannt würde! Meine Herren, ich schlage vor, den Fall als normalen Dirnenmord herunterzuspielen und verpflichte Sie zur strengsten Diskretion.«
    »Das ist ja wohl klar.« Der Polizeichef von Kowloon trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte aus Mahagoni. »Dr. Wang, haben Sie irgendeine Vermutung, um was es sich bei dieser Krankheit handelt?«
    »Ich habe keinerlei Anhaltspunkte, Sir.« Dr. Wang An-tse nahm seine Goldbrille ab, putzte die Gläser mit einem weißen Taschentuch und setzte sie dann wieder auf. »Selbst das Elektronenmikroskop im Queen Elizabeth Hospital gibt keine Auskunft.«
    »Kann es sich auch um ein Gift handeln?«
    »Möglich!« Dr. Wang hob die Schultern. »Alle Hypothesen sind erlaubt …«
    »Dann habe ich einen Mann, der Ihnen helfen kann, Kommissar Ting.« Der Stellvertreter des Gouverneurs wischte sich wieder kalten Schweiß von der Stirn. »Als Austauscharzt zwischen unseren Tropeninstituten befindet sich seit knapp drei Monaten der deutsche Arzt und Toxikologe Dr. Fritz Merker in Hongkong. Er arbeitet im Queen Elizabeth Hospital in der Forschungsabteilung und soll ein ungewöhnlich guter Mann sein.«
    »Ich kenne ihn«, sagte Dr. Wang und bewegte die Finger in seinen Sakkotaschen. »Er untersucht Schlangengifte.«
    »Das könnte auch eine Richtung sein. Kann ein Schlangengift so wirken?«
    »Ohne weiteres.«
    »Ich werde Dr. Merker für die Polizei freistellen!« Der Stellvertreter des Gouverneurs atmete auf. Das war ein sinnvoller Beitrag zur Lösung dieses schrecklichen Rätsels. Wenn man auch in Hongkong eigene gute Experten auf diesem Gebiet hatte – zwei Augen mehr können auch mehr sehen.
    An der Tür klopfte es. Ting öffnete.
    Der Kopf eines Polizisten schob sich in den Raum: »Die Frau ist eben zusammengebrochen«, meldete er. »Ohne Besinnung.«
    »Das ging schnell.« Dr. Wang löste sich von der Tischkante. »Haben die Herren noch Fragen oder kann ich gehen? Ich werde die Kranke ins Kwong Wah Hospital bringen lassen.«
    »Bitte diesmal ins Military Hospital!« sagte Ting kurz.
    Dr. Wang blieb wie nach einem Hieb vor die Brust stehen: »Warum?«
    »Ich habe sie da besser
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