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Der Dschunken Doktor

Der Dschunken Doktor

Titel: Der Dschunken Doktor
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schöne Dame auf dem Hocker saß. Sie hatte die Augen jetzt geöffnet und sah den Kommissar mit einem seltsam starren Blick an.
    »Kommen Sie mit!« forderte Ting Tse-tung sie auf. »Können Sie gehen?«
    Sie gab keine Antwort, erhob sich und schritt würdevoll aus dem Küchenvorraum. Im Foyer stieß man auf die Sargträger, die den Toten abholen wollten. Sie blieb stehen, warf einen Blick auf den Sarg, schüttelte den Kopf und ging dann weiter.
    »Wie fühlen Sie sich?« fragte Ting Tse-tung an ihrer Seite.
    »Gut!« Es war das erste Wort, das sie sprach.
    »Sie haben vor einer halben Stunde einen Mann erschossen.«
    »Wirklich?« Sie standen vor dem Lift. Ting Tse-tung ließ sie vorausgehen, winkte seinen Beamten, draußen zu bleiben, und fuhr mit ihr allein hinunter.
    »Warum haben Sie ihn erschossen?«
    Sie lächelte und schwieg. Ihre Mandelaugen glänzten, als seien sie geschliffen. Ting Tse-tung seufzte laut, verzichtete auf weitere Fragen und führte sie unten auf der Nathan Road in seinen Dienstwagen. »Kümmern Sie sich um alles!« sagte er zu einem Leutnant, der neben dem Auto wartete. »Eine Routinesache.«
    »Ist das die Mörderin?« fragte der Leutnant und starrte die schöne Dame an.
    »Unzweifelhaft hat sie geschossen …« Ting Tse-tung setzte sich neben sie. Er zog mit einem Knall die Tür zu, und so hörte der Leutnant die Fortsetzung des Satzes nicht mehr: »Wer schießt, ist aber nicht unbedingt der wirkliche Mörder.«
    Es war gut, daß diese Bemerkung ungehört blieb. Wer hätte sie auch verstanden?
    Im Polizeihauptquartier von Kowloon waren innerhalb einer Stunde die wichtigsten Männer von Hongkongs Verwaltung zusammengekommen.
    Den Vorsitz führte der Polizeichef. Neben ihm saßen ziemlich verwirrt der Administrationsdirektor von Kowloon, der Befehlshaber der Canton Road Police, der Chef der politischen Polizei, der Stellvertreter des Gouverneurs von Hongkong und je zwei Abgeordnete des Legislative Council und des Executive Council. Vierzig Beamte eines sofort gebildeten ›Sondereinsatzes X‹ saßen dahinter auf Klappstühlen in dem für solche Massenkonferenzen viel zu kleinen Raum.
    Der Polizeichef blickte hinüber zu Ting Tse-tung, nickte und erklärte ohne Einleitung:
    »Meine Herren! Ich habe Sie zu dieser ungewöhnlichen Nachtzeit ins Hauptquartier gebeten, weil ich der Ansicht bin, daß Sie noch heute mit einer Sache konfrontiert werden müssen, die morgen einen Wirbelsturm der Aufregung und Entrüstung hervorrufen dürfte; einen Sturm, der ungleich gefährlicher, härter und für unsere Stadt vernichtender sein wird als ein Taifun, der Tausende von Booten im Hafen zerschlägt und ganze Ortsteile wegfegt. Hören Sie bitte den Bericht von Kommissar Ting. Wir sind hier in Hongkong, wie jeder von uns weiß, mit Sorgen bis zum Hals eingedeckt – aber das hier könnte alles übertreffen.«
    Ting Tse-tung trat vor, lehnte sich gegen eine Tischkante, gab einen Wink, ein Bildwerfer flammte auf, und an der weißen Rückwand des Raumes erschien ein Foto des ermordeten Mannes im Smoking. Die beiden Einschüsse über der Nasenwurzel waren klar zu erkennen.
    »Dieser Mann«, sagte Ting Tse-tung, »wurde vor knapp drei Stunden im Juno Revolving Restaurant am Tisch 26 erschossen. Sie sehen zwei Kopfschüsse aus einer kleinen 4-mm-Damenpistole. Ein Spielzeug – aber aus nächster Entfernung tödlich. Das Opfer, ein gewisser Reginald Marcus Rogers, kam aus San Francisco, war verwitwet, wohnte hier im Hyatt Regency Hotel, hatte die Suite Nummer 2 gemietet, gab auf einem Meldezettel an, Importeur zu sein und fiel in den fünf Tagen, die er hier wohnte, durch eine beneidenswerte Potenz auf. Er hat fast alle Escort Services durch … von der Venus East Ltd. bis zur Adams' Eve Ltd. Und immer ließ er sich die ›Stars‹ im Bett bringen. Wenn ich Namen nenne, werden die Kollegen vom Sittendezernat mit der Zunge schnalzen.«
    »Bitte, etwas mehr Zurückhaltung, Kommissar Ting!« sagte der Polizeichef mahnend.
    Ting Tse-tung lächelte schwach. »Das war bisher alles, was über Mr. Rogers zu erfahren war. Ein Telegramm ist nach San Francisco zum dortigen Polizeipräsidium unterwegs … wir erwarten schnelle Antwort.« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Mr. Rogers wurde von einer Frau erschossen.«
    »Also ein simpler Dirnenmord!« rief einer der Herren vom Parlament pikiert. »Ich sage ja immer schon: Die Polizei ist viel zu lau! Hongkong und vor allem Kowloon sind ein Sumpf …«
    Ting Tse-tung
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