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Der Dschunken Doktor

Der Dschunken Doktor

Titel: Der Dschunken Doktor
Autoren: Heinz G. Konsalik
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von neun Krankenzimmern schon gezogen waren. Yang sah Dr. Mei aus halbgeschlossenen Augen an.
    »Was nun, ehrwürdiger Vater?« fragte sie.
    »Nichts. Er wird zurückkommen.«
    »Das ist nicht sicher.«
    »Wenn er dich liebt, kommt er zurück. Wenn er mit Koon nach Macao fährt, weine ihm keine Träne nach. Er hat dich dann nicht verdient.«
    »Er denkt anders als wir, Mei, er muß als Europäer denken. Es sind zwei Welten …«
    »Du und er, ihr seid eine Welt. Wenn er das nicht spürt, hat er dich nie geliebt. Nicht dich, Yang, sondern nur deinen Körper. Darauf kannst du verzichten.«
    »Und an meine Liebe denkst du nicht?«
    »Du würdest mit ihm nach Hamburg gehen?«
    »Ja.«
    »Ich habe es gewußt.« Dr. Mei nickte mehrmals. »Aber wir dürfen ihm das nie sagen. Er gehört hierher, zu den Ärmsten der Armen … er ist ihre Rettung! Ihr Dschunkendoktor, ihre Brücke zum Himmel. Verhalten wir uns ganz still. Er wird von selbst wiederkommen.«
    Aber Dr. Merker kam an diesem Tag nicht mehr, und auch nicht in der Nacht. Dr. Mei und Yang behandelten die Patienten. Aber sie gingen nicht unter Deck, um mit Merker ein Wort zu sprechen oder ihm zu essen zu bringen. Ein paarmal setzte Yang an, aber Mei hielt sie fest.
    »Nein!« sagte er. »Er soll von allein kommen.«
    »Er wird Hunger haben …«
    »Jedes Tier, das hungrig ist, kommt aus seinem Bau. Auch er wird kommen.«
    »Er hat Durst.«
    »Er wird sich seine Quelle suchen. Du mußt warten können, Yang.«
    »Aber er hat doch recht, Mei!«
    »Nein! Er ist Wei Kang-teh. Und er muß lernen, wie Wei Kang-teh zu denken und zu fühlen. Wir müssen alle viel Geduld haben, Yang.«
    Was unterdessen auf der Dschunke von Koon Lung-tse geschah, das erfuhren nur wenige. Ein Gericht, gebildet aus allen Schichten von Yau Ma Tei, verhandelte penibel, über neun Stunden lang. Befragte den jammernden und immer wieder weinenden Tsching Hao-jih, sah zu, wie er auf den Knien herumrutschte und um sein Leben flehte, und verurteilte ihn dann in der Abenddämmerung zum Tode. Ein Boot fuhr ihn hinaus auf das Meer zu der wartenden Dschunke.
    Tsching brüllte auf, und er schrie und schrie und heulte wie ein Wolf, als man ihn auf seine Superrakete RS 1212 band, Arme und Beine um den Plastikkörper nach rückwärts gebogen, gekreuzigt auf einen schlanken Flugkörper, der ihn hoch in den Himmel tragen würde.
    Tschings Stimme überschlug sich, er kreischte, bis er heiser wurde, dann flehte er wieder um sein Leben, bot Millionen und wußte doch, daß mit dem Einfall der Nacht, von Minute zu Minute sein Leben kürzer wurde. Als es vollends dunkel war, es war nun fast 11 Uhr nachts, schloß er die Augen und betete. Koon Lung-tse kontrollierte die elektrische Zündung und legte die Hand auf den kleinen Auslösegriff. Die Abschußrampe bewegte sich, die Rakete stellte sich senkrecht aufrecht, bis sie einen Winkel von fast neunzig Grad erreicht hatte. In einem steilen Bogen würde sie nach oben schießen.
    Tsching Hao-jih weinte wieder. Was ein Mensch in diesen letzten Minuten empfindet, woran er denkt … wer weiß das? Vielleicht ist auch eine große Leere um ihn, ein Nichts, das vom Geheimnis des Danach ausgefüllt wird …
    Koon Lung-tse blickte in den schwarzen Nachthimmel. Das Meer war leicht bewegt und ebenso schwarz wie die Nacht. Die anderen Chinesen, die ihn umstanden, nickten ihm ernst zu. Mit unbewegtem Gesicht zog Koon den Hebel herunter.
    Auf der Abschußrampe schoß ein Feuerstrahl in die Dunkelheit. Dann raste die große Rakete mit einem langen Flammenschweif in den Himmel. Möglich, daß Tsching jetzt hell schrie, man hörte nichts mehr als das pfeifende Zischen des Treibsatzes.
    Durch das ungewohnte Gewicht behindert, stieg die Rakete nur einen Kilometer in die Luft. Dann zerplatzte sie mit einem dumpfen Knall. Ein herrlicher, noch nie gesehener, breiter Goldregen fiel herab, eine goldene Kaskade, die eine Minute lang das Meer erhellte, die Dschunke, die stummen Männer an Deck und die ferne Insel Sha Chau noch in eine fahle Dämmerung tauchte. Es war ein wundervoller Anblick … Und mit den breiten goldblitzenden Phosphortrauben, die ins Meer sanken und verglühten, regnete auch der in kleine Teile zerfetzte Körper von Tsching Hao-jih aus dem Himmel in die See.
    »Das war es«, sagte Koon Lung-tse hart und wandte sich ab. »Jetzt kann ich wieder schlafen, mein Töchterchen …«
    Er ließ den Motor anwerfen und fuhr zurück nach Yau Ma Tei, um dem ehrwürdigen Dr. Mei zu berichten,
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