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Der dritte Berg

Titel: Der dritte Berg
Autoren: J. F. Dam
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ich, dass ich Maggies Hinweis auf Maettgen richtig deute. Maggies Sorge wegen Christians langer Abwesenheit hat mich überrascht.
    Ich nehme den bereits dunklen Waldpfad zum Goldenen Hirschen, esse im Restaurant des Landhotels und gehe rasch auf mein Zimmer. Dort fahre ich mein Notebook hoch, setze mich aufs Bett und sehe mich auf der Website dieses indischen Pharma-Unternehmens um, der Aroga Corporation . Die Aroga Corporation ist weltweit tätig und hat ihren Sitz in der westbengalischen Stadt Kalonagar. Eine Niederlassung in Mannheim gibt es, bei der es sich offenbar um die Europazentrale Arogas handelt. Angeberisch bezeichnet man sich als das bedeutendste pharmazeutische Unternehmen Asiens. Ich schaue nach. Diese Selbsteinschätzung Arogas scheinen eine Menge Wissenschaftler, Institute und Zeitungen zu teilen. Wieder zurück auf Arogas Website, suche ich nach Horst Maettgens Namen. Ausgenommen als Vortragender bei der letztjährigen Aroga-Konferenz in London taucht der Name Maettgen aber nicht auf. Von Hinweisen auf Christians Forschungsgebiete in der altindischen Medizin keine Spur.
    Â 
    Am nächsten Morgen – ich bin mit etwas Proviant auf dem Weg zu meinem Beobachtungsposten – rufe ich Gabriela an. Ich bin Gabriela auf der Abschlussparty eines NGO -Kongresses in Hamburg über den Weg gelaufen, an dem ich für GeoWatch teilnahm. Seit meinem Studium bin ich Mitglied bei dieser Umweltorganisation. Man braucht bei GeoWatch gelegentlich Geophysiker, Meteorologen und Leute, die Erfahrung im alpinen Klettern haben. Die bloße Existenz einer solchen Rebellentruppe, die heute beinahe zum Mainstream gehört und inzwischen auch eine Menge selbstgefälliger Caffè-Latte-Leute und wahnsinniger Soziopathen anzieht, hatte mich in Bann geschlagen.
    In Hamburg entdeckten Gabriela und ich, dass wir beide in Wien leben und nichts von ewiger Liebe halten. Gabriela kommt aus Barcelona, sie hat eine archaisch-iberische Schönheit in den Zügen und das aufregendste Hinterteil dieser Weltgegend. Wie jeden Morgen ist sie auf dem Weg zum Sitz der UNO , wo sie arbeitet, und sie hat üble Laune. Man hat ihr ein paar Tage Arbeit im Archiv aufgebrummt. Ich erzähle ihr von Maggie; gegen meine Überzeugung nenne ich es einen wahrscheinlichen Selbstmord. Gabriela ist entsetzt. Und dann lüge ich Gabriela nicht an, sondern sage ihr, was ich gerade mache. »Du bist vollkommen von der Rolle, glaub mir«, sagt Gabriela, »deine arme Maggie wird davon auch nicht wieder lebendig.«
    Auf meinem Riedgrasposten ist es kühler als gestern. Der Himmel ist vollgefüllt mit Stratocumuli stratiformes opaci . Die Stratocumuli drängeln sich in endlosen Wellen heran, bis sich ein gesichtsloser Ozean über meinem Kopf ausdehnt; eine Decke aus bleiern-blauem Wasser. Zum ersten Mal hasse ich Wolken. Diese hier haben die Farbe von Maggies Augenlidern in der Gerichtsmedizin.
    Die Villa zieht es vor, die Morgenstille in den Tag hinüberzutragen. Der Mittag vergeht. Am frühen Nachmittag schleiche ich in den Wald, um Wasser abzuschlagen. Danach vertrete ich mir in der Deckung des Waldrands die Beine. Und als ich zurückkomme, vollführe ich einen Hechtsprung in Richtung meiner Schafwolldecke. Eine dunkelbraune Limousine fährt soeben auf Maettgens Haus zu, und dicht hinter ihr ein wuchtiger, schwarzer Geländewagen; sie verschwinden hinter Maettgens Villa und kommen nicht wieder zum Vorschein. Kurz darauf öffnen sich zu gleicher Zeit im gesamten Haus die Fensterläden. Ich halte den Atem an. Ich liege auf dem Bauch. Gegen halb sechs Uhr, es dämmert bereits und hat aufgeklart, schließt man die Läden wieder. Dann nichts. Wenig später jedoch kurz Licht im Dachgeschoss, in einem schrägen, kleinen Dachfenster. Ich habe keinen Plan für einen Fall wie diesen, und ich denke bloß daran, die Gelegenheit zu ergreifen, um abermals an Maettgens Haustür zu klingeln. Dann aber entschließe ich mich zu einer diskreteren Vorgangsweise.
    In der einsetzenden Nacht laufe ich die zum Haus abfallende Wiese hinunter. Ich klettere über den einfachen Holzzaun in Maettgens Garten und pirsche an der Innenseite des Zauns entlang. In der Föhrengruppe halte ich inne und bewege mich dann langsam auf das Haus zu. Die knirschenden Kieswege meide ich. An der Terrasse angekommen, bemerke ich, dass einer der Türläden klemmt und nicht vollständig schließt. Er lässt einen
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