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Der dritte Berg

Titel: Der dritte Berg
Autoren: J. F. Dam
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dünnen Lichtbalken aus dem Haus zu mir nach draußen fallen.
    Kurz darauf, die Augen am Lichtspalt: Ein Mann sitzt krumm an einem Schreibtisch aus dunklem Nussholz. Ein breiter, fast kahler Hinterkopf, ein mächtiger Rücken. Das kann nur Maettgen sein, und er schreibt, bewegt dabei seine Schultern mit einem leichten Zucken. Eine Schreiblampe und zwei Stehlampen erhellen den Raum. Ich zögere. Der Rücken vor mir greift zu einem Diktafon und spricht ein paar Sätze in den kleinen Apparat. Ich atme kurz und trockne unschlüssig die schweißnassen Hände an meinen Jeans, als Christian den Raum betritt.

 
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    CHRISTIAN IST EINE hundertzweiundneunzig Zentimeter große Illustration dessen, was Willenskraft und Ehrgeiz aus dir machen können. Auf dem Weg zum Gipfel lassen sie dich eine Menge kleiner Dinge übersehen. Und wären da nicht Indien und unsere Väter, würden wir beide niemals als Freunde durchgehen. Mein Vater hatte bis vor wenigen Jahren eine Professur für Wirtschaftswissenschaften inne, dazu ist er strenger Katholik (eine folgenreiche Charakterschwäche, die meine Wiener Großmutter zu verantworten hat), und Christians Vater, ein Protestant aus dem Städtchen Baden bei Zürich, leitet bis heute eine reformistische Privatschule. Beide religiös bis auf die Ohrknöchelchen. Beide im ehernen Besitz der Wahrheit. Für Christian jedenfalls bis heute Grund genug, über seine Herkunft zu sprechen, als handle es sich um ein schwarzes Krebsgeschwür. Sein ganzes Leben lang hat Christian sich abgemüht, alles hinter sich zu lassen, die Schweiz, den dunklen Schweizer Protestantismus, seine Familie, auch den schweizerischen Akzent. Er hasst dieses Land fast so, wie er seine füllige, erdrückende Mutter hasst (gegen die er sich aber niemals bewusst wendet, sie bedeutet ihm einfach nichts; es ist ein träger Hass).
    Maettgen blickt kurz auf, dann sagt er ein paar Worte. Christian schweigt. Er lässt seine hagere Gestalt in einen Stuhl fallen. Ich bebe am ganzen Körper. Seit einem vollen Monat denke ich, Christian halte sich in einer entlegenen Gegend Indiens auf, und jetzt sitzt er hier und blickt düster durch ein Schwarzwaldhaus.
    Christian trägt sein dunkles Haar kürzer als zuvor, die grauen Schläfen liegen wie kleine Flügel an seinem Kopf. Die imposante Hakennase, die ihm zusammen mit dem braungelben Teint seiner Haut als Junge den Namen Apache eingebracht hat, steckt noch knochiger unter dem nadelscharfen Blick. Die schmalen Lippen hat er zusammengepresst, und seine handgenähten Budapester-Schuhe kontrastieren mit Jeans und einem groben Baumwollhemd.
    Ich beobachte, wie Maettgen beginnt, auf meinen Freund einzureden (gedämpfte Laute schaffen es bis zu mir nach draußen). Christian würdigt ihn keines Blickes. Nicht auszudenken, wenn er von Maggies Tod erfährt.
    Ein dumpfes Schnappen jetzt. Dann eine weißgelbe Taucherglocke. Sie besteht aus dem Licht, das von der Terrassenbeleuchtung plötzlich auf mich herabfällt. Inmitten eines Meers von Finsternis.
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    Minuten später: vereinzelte Photonen, Lichtquanten, die in fast vollkommener Dunkelheit meine Augen unter elektrische Spannung zu setzen suchen. Doch diese Augen schmerzen, sie glühen , sie verweigern sich tosende Sekunden lang, bis viele von ihnen, Millionen Photonen, in den Stäbchen am Außenring der Netzhaut endlich die Augenbarriere durchschießen, mein träges Gehirn erreichen, und ich zu sehen beginne.
    Dabei zwinge ich meine schmerzenden Lungen zu einem flachen, unhörbaren Atemrhythmus. Ich höre Schritte, und Atem; anderen Atem. Ein Käuzchen schreit hohl. Marder laufen durch das Laub des Waldes, Dachse vielleicht. Ich stehe hinter eine Fichte gedrückt und befühle meine Schuhferse. Da ist ein Riss in meiner Schuhsohle. Und natürlich ist es kein Riss, es ist ein Schnitt.
    Augenblicke zuvor noch bin ich durch den Garten gehetzt, zwei stiernackige, kahlgeschorene, in Anzügen steckende Verfolger hinter mir. Tierische Ausgeburten irgendeiner Spezialhölle, von denen die erste, wie ich beim Haus zu sehen geglaubt habe, eine lächerlich kleine Nase besitzt. Ich bin über den Zaun gehechtet, verspüre dabei einen Schlag auf meinen Schuh, von dem ich jetzt weiß, dass er von einem Messer geführt worden ist, das meine Sohle zerschnitten hat, dann sprinte ich die Wiese hinauf. Geradewegs in den Wald hinein,
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