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Der dritte Berg

Der dritte Berg

Titel: Der dritte Berg
Autoren: J.F. Dam
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den Zaun, danach über die Mauer im hinteren Teil des Gartens. Eine Weile steht er bei einem großen, alten Kirschbaum. Ich mache mir Sorgen um ihn. Als er zurückkommt, beschließe ich, so zu tun, als hätten wir noch den Boden unter den Füßen. Ich unterrichte ihn in wenigen Worten über den Inhalt der Briefe, und über Christians Funde.
    »Ich weiß es auch nicht«, sagt Schmithausen, als ich zu Ende gekommen bin.
    Ich blicke ihn streng an. Dieses ganze Schauspiel ist lächerlich.
    »Kein Name. Eine Legende sagt, Iskanders Nachfolge gehe zurück auf Alexander den Großen selber. Auch Maettgen wusste übrigens von diesen Dingen.«
    »Iskander ist die Bezeichnung für ein Amt?«, sage ich; dabei denke ich an Alexanders Eroberungen, an das, was folgte, an Asien, und an Europa als einen riesigen Phallus.
    »Ein Amt, ja, selbstverständlich. Die Nachfolgeregelung ist allerdings unbekannt.«
    Schmithausen macht eine Pause. Er sieht traurig aus. Gleich wird ein Hustenanfall kommen. Vorsorglich setzt er sich.
    Ich helfe ihm.
    »Da muss doch ein wenig mehr sein, was man über diesen Mann weiß«, sage ich. Ja, diese Frage entspringt der Höflichkeit. Denn ich weiß gar nicht, ob mich dieser Iskander noch interessiert.
    »Sie haben schon recht, Bernard. Doch, wie gesagt, alles ist bloß Legende, Spekulation. Der Iskander, so sagt man in manchen Kreisen, die ich um Himmels willen nicht benennen will, sei stets eine sogenannte Brücke. Es bestehe bei ihm eine Verbindung zwischen Europa und Indien. Und er wähle eine Frau, die, so meinen diese Leute, Helena heißen müsse. Ein alter Reflex vielleicht, der erste Krieg Europas gegen Asien in Troja. Und man sagt auch, der Iskander verwahre eine Halskette aus Holzkugeln, die vor zweitausend Jahren aus einem Baum in Kaschmir geschnitzt worden ist.«
    »Und wie passt Christian Fust in dieses, verzeihen Sie, etwas groteske Szenario?«
    »Iskander mag ihn für seine Ziele benutzt haben. Das letzte Ding. Der letzte Ort. Fust war ein hervorragendes Instrument. Ein Genie. Die Handschrift kann ein Köder gewesen sein, und eine Fährte. Ich könnte mir denken, man hat sie ein wenig verfälscht.«
    Eine Fälschung. Ha! Das Intelligenteste, das ich seit Wochen höre. Da ist aber noch etwas. Ich schweige. Ich denke nach. Und ich gelange zu einem Gedanken, den ich nicht wage, zu Ende zu denken. Ich wage es nicht.
    Und deshalb sage ich etwas ganz anderes.
    »Das alles zusammen ist doch blanker Unsinn.«
    »Ganz Ihrer Meinung«, sagt Xaver Schmithausen schwach. »Ganz Ihrer Meinung.«

    3 Das dem dritten Brief Iskander Mahans vorangestellte Zitat ist in dem von E.A. Wallis Budge in London 1896 publizierten Buch zu finden: The Life and Exploits of Alexander the Great Being a Series of Ethiopic Texts.

POSTSKRIPTUM:
    Es ist Abend. Lange habe ich gezögert, doch jetzt bin ich entschlossen, im Netz das Große Orakel über das namenlose Tal unweit des Dorfes N zu befragen. Ich meide dieses Orakel inzwischen. Ist es doch nur das bisher letzte Kapitel einer infamen Geschichte. Dennoch rufe ich die Satellitenbilder auf. Und ich stelle fest, dass wegen der dichten Vegetation und der Felsüberhänge das Tal des Informanten von den Geosatelliten aus nicht zu sehen ist. Aus dem kleinen Flusslauf weiter oben aber kann man es sich erschließen.
    Ich hole mein Portemonnaie und finde darin einen zerknitterten Zettel, den ich lange Zeit beinahe vergessen hatte. Es handelt sich um jene Notiz, die ich Christians Papierkorb verdanke. Und ich löse ein Rätsel, jetzt, da ich vielleicht nicht mehr an dieser Lösung interessiert bin.

    88-21-17 e
    27-37-05 n
    ?

    bezieht sich auf die vermuteten Koordinaten des Tals ohne Namen, in Grad, Minuten und Sekunden östlicher Länge (east) und nördlicher Breite (north), Koordinaten, die jedoch, wie ich jetzt behaupten kann, nicht ganz exakt sind. Und die richtigen, die richtigen.
    Der Gedanke, irgendjemand könnte sogleich wieder auf die Idee kommen, eine Route zu diesem Tal auszutüfteln, irritiert mich.
    Auch Entdecker können Räuber sein. Bald gibt es das andere nicht mehr. Ein unentrinnbares Netz hat sich über alles gestülpt. Nichts ist mehr möglich.
    Langsam erhebe ich mich, öffne die Tür auf meinen Balkon und sitze lange dort draußen in der sternenlosen Dunkelheit.
    Ich verdamme sie alle. Verfluchte Irre. Verfluchte Diebe. Verfluchtes Großes Orakel.

ANHANG

ANHANG I: DAS GELÄCHTER

    Der Vollständigkeit halber sollen hier einige Auszüge aus Christian Fusts
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