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Der dritte Berg

Der dritte Berg

Titel: Der dritte Berg
Autoren: J.F. Dam
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und des Geländes verlieren, gelangt Al-Khidr ans Ziel, »an der rechten Seite der aufgehenden Sonne«, unweit des höchsten Berges, und findet des Lebens Quelle. Sein Freund und Herr jedoch geht in die Irre, und schließlich gelangt er zurück zu seiner Armee. Bald darauf stirbt er. Und nur Al-Khidr lebt unerkannt bis heute.
    Iskander war der große Mann, auch Alikasudara genannt, oder Du’l-qarnein, der Zweigehörnte. Der Große Makedonier.
    Alexander also war es, der das mysterium von Sonne und Mond als Erster erkannt hat.

    Das Geheimnis ging nicht verloren und gelangte in die Hände von König Seleukos Nikator, den Nachfolger von Alexander dem Großen im Osten. Von ihm wurde das Wissen weitergereicht, durch dunkle Jahrhunderte bald, bis Europa wiedererwachte und dem Zug Alexanders in mehreren Wellen in den Osten folgte. Von den Kreuzzügen bis zu Heinrich dem Seefahrer und dann zum British Raj. Die Motive ließen stets zu wünschen übrig. Kein Mann aber hat reine Gedanken, wenn er seine Angebetete erblickt!
    Denn nur wenige Menschen waren des Wissens teilhaftig. Nur wenige kannten die wahren Gründe für Europas wilden Eifer!
    Eine Legende, ein Mythos, werden Sie sagen. Wer aber soll das feststellen? Das Leben muss zu sich selber finden, dann herrscht Vollkommenheit.

    Ihr ergebenster
    Iskander

    Gegen Mittag schieben sich vor meinem Fenster die Wolken zusammen. Sie häufen sich zu undurchdringlichen, fast die Hügelkuppen um Wien berührenden Stratocumuli congesti opaci , die den Himmel verfinstern und mich das Licht anknipsen lassen.
    Ich sitze den ganzen Tag steif an meinem Schreibtisch. Nur wenige Male stehe ich auf; ich konsultiere meine Bibliothek, ziehe Poe, Heraklit und Borges heran, dann Abhinavagupta.
    Ist die Welt eine nicht vertrauenswürdige, in die Leere projizierte Bibliothek unseres Geistes?
    Dann wäre Unsterblichkeit ein schwaches Wort. Kultur eine Erzählung. Die Geschichte ein sinnloser Kampf zwischen Interpretationen des Nichtseins.

    In der folgenden Nacht schlafe ich wenig. Ich sitze in meinem Ledersofa und überlege. Ich schreibe eine kleine Liste.

    Sophia
    Die Notiz
    Schmithausen

    Um acht Uhr morgens tippe ich eine Kurznachricht an Sophia und schicke sie zwei Mal, damit sie auf keinen Fall verlorengeht. Ich wage es nicht, Sophia anzurufen.
    Dann schließe ich meine Wohnung ab, fahre mit dem Fahrstuhl in die Garage und steige in meinen Wagen. Ich rufe meinen Vater an, um die genaue Adresse in Erfahrung zu bringen. Ich streiche über das Armaturenbrett. Einen Augenblick lang überlege ich, ob es nicht angenehmer wäre, die Bahn zu nehmen. Doch dann fahre ich los. Lange Autofahrten können Meditationen über die Abgründe des Lebens sein. Oder über Leute wie Iskander.
    In einem kleinen Wohngebiet bei Kufstein in Tirol steige ich fünf Stunden später aus dem Wagen. Es ist das Ferienhaus von Xaver Schmithausen, in dem er stets den gesamten Sommer verbringt. Ich gehe durch die Gartenhecke, laufe eine breite Eingangstreppe hinauf und klingle an der Tür. Xaver Schmithausen öffnet sehr vorsichtig.
    »Bernard!«, ruft er. »Was führt Sie denn zu mir?«
    »Ich bitte um einen Doppelten ohne Milch und Zucker«, sage ich statt zu antworten und hoffe dabei, dass Schmithausen auch in diesem Haus eine gute Kaffeemaschine stehen hat.
    »Bin schon wieder zurück.« Schmithausen geht in die Küche, macht seine Espressomaschine an, füllt Kaffee nach und drückt zwei Mal auf die Taste. Dann einmal für sich selber. Es fängt an zu duften. Auch hier eine Brasil-Santos-Röstung im Vordergrund. Ich komme mir zum ersten Mal richtig dumm vor, weil ich so etwas denke.
    »Ein Unbekannter namens Iskander«, sage ich, als Schmithausen zurückkommt und sich setzt. Es soll eine Antwort auf die Frage sein, die er bei meinem Eintreten gestellt hat. »Ich habe Briefe erhalten.«
    Aus Schmithausen wird augenblicklich ein Stein. Er kriegt die Augen nicht mehr zu, auch die Lippen klaffen auseinander. Nach fünf oder gar zehn Sekunden fällt die gesamte steinerne Konstruktion jedoch in sich zusammen. Schmithausen nimmt die Form eines kläglichen, zerfließenden Puddings an, so als wäre jede Lebenskraft aus ihm hinausgeronnen und nur noch ein Haufen Knochen halte die Dinge zusammen. Schmithausen schließt die Augen.
    »Bitte, Bernard«, sagt er mit leiser Stimme.
    Er erhebt sich. Er geht zu den großen Terrassentüren und dann hinaus in den Garten. Dort sehe ich ihn zehn Minuten lang herumstreifen. Er schielt über
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