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Der Doge, sein Henker und Ich

Der Doge, sein Henker und Ich

Titel: Der Doge, sein Henker und Ich
Autoren: Jason Dark
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Abend.
    Für den Weg zur Brücke brauchte er die doppelte Zeit wie normal. Als er sie erreicht hatte, sie führte zum Glück kerzengerade über den Kanal, blieb er zunächst einmal stehen und lehnte sich auf die steinerne Brüstung.
    In dieser Haltung blieb er, atmete tief ein und auch wieder aus. Selbst das bereitete ihm Mühe, es ging nicht mehr so wie früher. Pietro schaute auf das Wasser. Es sah dunkelgrau aus, an einigen Stellen fast schwarz. Die Orfani hatte recht behalten. Die Kanäle stanken. Ein widerlicher Geruch stieg ihm in die Nase. Es roch nach Fäkalien, Abwässern und altem Holz, als würde der in der Nähe liegende Kahn allmählich verfaulen.
    Pietro bewegte seinen Kopf. Wenn er nickte, überkam ihn das Gefühl, als würde sein Kopf abfallen, so schwer war er plötzlich geworden. Hinter seinen Augäpfeln tuckerte es, und manchmal zogen Schmerzwellen durch den gesamten Schädel. Zurück oder zu seinen alten Freunden?
    Die Entscheidung fiel ihm nicht leicht. Schließlich war er zu einem Ergebnis gelangt. Er wollte weitergehen, nicht wegen Luisa, nein, dann brauchte er die Treppe nicht wieder hoch. Möglicherweise ging es ihm nach einigen Grappas wieder besser.
    Und so lief er weiter. Wie ein alter Mann setzte er seine Schritte. Über ihm lag der dunkle Himmel. Wolkenverhangen. Ein kühler Wind trieb durch die engen Straßen und bewegte auch das Wasser der Kanäle. Er brachte auch den Geruch mit, der in allen Mauern festsaß und auch die Menschen nicht verschonte.
    Dieses Venedig besaß nichts mit der Stadt gemein, wie sie Millionen von Touristen kannten. Sie war zu einer Stadt geworden, die allmählich vor sich hinsiechte.
    Wie auch der einsame Mann, dessen Kräfte immer mehr schwanden, wobei die Pausen, die er einlegen mußte, zwangsläufig länger wurden. Aber Pietro hielt sich auf den Beinen, auch wenn es ihm schwerfiel, denn er sah bereits die Laterne über dem Eingang der kleinen Osteria. Dort hatte er sich ziemlich lange nicht mehr blicken lassen. Sicherlich würden ihn die alten Kumpel empfangen wie einen verlorenen Sohn. Hoffentlich hatte man ihm auch den Platz an der Theke freigehalten. Er hatte stets an einer bestimmten Stelle gesessen, und die wollte er auch am heutigen Abend wieder einnehmen.
    Der Gedanke an den Grappa gab ihm noch einmal Kraft. Der Wirt Luigi wartete auf besseres Wetter. Er glaubte auch daran, denn draußen standen bereits die kleinen Tische und die schmalen Stühle. Beide jedoch übereinander gestapelt und durch Ketten verbunden. Der Stimmenlärm drang durch das schräggestellte Oberlicht der Tür. Über Pietros Gesicht zuckte ein Lächeln. Diese Geräuschkulisse liebte er, er war sie gewohnt, er kannte sie und öffnete die Tür sehr langsam. Dennoch schlug die kleine Glocke an.
    Schlagartig verstummten die Gespräche. Die Gäste standen nur an der Theke. Sie alle hatten das Bimmeln der Glocke gehört und drehten nun die Köpfe.
    Und sie alle schwiegen.
    Für Pietro Lombardi waren die Gesichter der Freunde nur mehr blasse Flecken zwischen den treibenden Rauchschwaden und den nebelumhüllten Lampen. Aber sie erkannten ihn besser. Luigi, der Wirt, schrie plötzlich los.
    »Er ist da. Unser verloren geglaubter Sohn Pietro ist zurückgekehrt. Laß dich umarmen.« Der dicke Luigi watschelte hinter seiner Theke hervor. Wie immer trug er die Schürze bis zu den Schienbeinen, und wie immer war sein Gesicht glänzend, so daß es Ähnlichkeit mit einem hellen Vollmond bekam.
    Er umarmte Pietro, drückte ihn an seine Brust, während die übrigen Männer Hochrufe ausstießen. Man hatte ihn gern, Pietro war ein Mensch, der sich keine Feinde schuf, immer freundlich und stets auf Draht. Er gab auch hin und wieder eine Runde und fühlte sich in dieser Männer-Gemeinschaft ungemein geborgen.
    Sein Stammplatz war tatsächlich freigehalten worden. Luigi persönlich führte ihn wie einen König dorthin, verneigte sich und bat den Gast, Platz zu nehmen.
    Pietro entsprach dem Wunsch. Dabei riß er sich stark zusammen. Niemand sollte merken, daß es ihm Schwierigkeiten bereitete, auf dem Hocker zu sitzen.
    Über den Holztresen rutschte ein Glas mit Grappa. Auch andere bekamen volle Gläser. Luigi gab zur Feier des Tages einen aus. Wenig später stemmten sie die Gläser hoch, sangen ein Willkommenslied, und Pietro war zu Tränen gerührt.
    Er konnte es kaum fassen, daß man sich derart um ihn kümmerte. Die Gläser wurden geleert. Lombardi stellte seines schwerfällig auf die Theke zurück,
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