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Der Diamant (German Edition)

Der Diamant (German Edition)

Titel: Der Diamant (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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ohne daß er wagt, es einzugestehen.
    Um die volle Bedeutung dieser Unterhaltung zu begreifen, muß ein Ereignis erzählt werden, das wie mit unsichtbaren Banden die einzelnen Personen dieses kleinen Dramas, die bisher noch im Salon verstreut waren, miteinander verbinden sollte. – Ungefähr gegen 11 Uhr abends, in dem Augenblick, als sich die Tänzerinnen auf ihre Plätze begaben, sahen die Gäste des Hotel Gondreville die schönste Frau von Paris hereinkommen, die Königin der Mode, die einzige, die dieser glänzenden Versammlung noch gefehlt hatte. Sie hatte es sich von jeher zum Gesetz gemacht, immer erst in dem Augenblick zu erscheinen, wo ein Salon jene belebte Bewegtheit zeigt, bei der die Frauen nicht mehr lange die Frische ihres Gesichtes und ihrer Toiletten zu bewahren vermögen. Dieser flüchtige Augenblick ist wie der Frühling eines Balles; eine Stunde später, wenn das Vergnügen vorbei ist, wenn die Ermüdung eintritt, ist alles verwelkt. – Frau von Vaudremont beging nie den Fehler, so lange auf einem Fest zu bleiben, bis ihre Blumen welk, ihre Locken unordentlich, ihre Besätze zerknittert waren, bis ihr Gesicht ebenso übermüdet aussah wie die anderen, die, vom Schlaf fast übermannt, sich seiner nicht immer erwehren können. Sie hütete sich wohl, gleich ihren Rivalinnen, ihre verschlafene Schönheit zu zeigen, sie erhielt den Ruf ihrer Koketterie geschickt dadurch aufrecht, daß sie einen Ball ebenso leuchtend verließ, wie sie ihn betreten hatte. Die Frauen flüsterten sich mit einem Gefühl von Neid zu, daß sie so vielerlei Schmuck anlege, als sie an einem Abend Bälle besuche. Diesmal sollte Frau von Vaudremont jedoch nicht nach eigenem Belieben den Salon verlassen, den sie im Triumph betreten hatte. Einen Augenblick stand sie auf der Schwelle der Tür und warf flüchtige, aber durchdringende Blicke auf die anwesenden Frauen, deren Toiletten sie dabei prüfte, um sich zu überzeugen, daß die ihre alle anderen in den Schatten stellte. Die berühmte Kokette, die von einem der tapfersten Infanterie-Generäle der Garde, einem Günstling des Kaisers, dem Grafen von Soulanges, am Arm geführt wurde, bot sich der Bewunderung der ganzen Versammlung dar. Die vorübergehende und zufällige Verbindung dieser beiden Persönlichkeiten hatte zweifellos etwas Geheimnisvolles. Als Herr von Soulanges und Frau von Vaudremont angekündigt wurden, standen einige Damen, die bisher als Mauerblümchen auf ihren Plätzen gesessen hatten, auf, die Herren kamen aus den anstoßenden Sälen und drängten sich an die Türen des Hauptsaales. Ein Witzbold – wie sie bei einer so zahlreichen Versammlung nie zu fehlen pflegen – sagte, als er die Gräfin und ihren Kavalier hereinkommen sah: die Damen sind ebenso neugierig, einen Mann zu sehen, der seinen Leidenschaften treu bleibt, wie die Männer eine schöne, schwer zu fesselnde Frau.
    Obgleich der Graf von Soulanges, ein Mann von ungefähr 32 Jahren, jenes nervöse Temperament besaß, das bei den Männern die großen Fähigkeiten hervorbringt, sprachen seine hagere Gestalt und sein blasser Teint wenig zu seinen Gunsten. Seine schwarzen Augen deuteten auf große Lebhaftigkeit, aber in Gesellschaft war er schweigsam, und nichts ließ ahnen, daß er bei den gesetzgebenden Versammlungen der Restauration als einer der geschicktesten Redner der Rechten glänzen sollte. Die Gräfin von Vaudremont, eine große, etwas üppige Frau mit blendend weißer Hautfarbe, verstand ihren Kopf gut zu tragen und besaß den großen Vorzug, durch die Anmut ihres Auftretens zu bezaubern. Sie gehörte zu jenen Geschöpfen, die alle Versprechungen, die ihre Schönheit macht, erfüllen. Dieses Paar, das für einige Augenblicke der Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit wurde, ließ die Neugier sich jedoch nicht lange auf seine Kosten unterhalten. Der Obrist und die Gräfin begriffen anscheinend völlig, daß der Zufall sie in eine peinliche Lage versetzt hatte. Als Martial sie kommen sah, ging er auf die Gruppe von Herren zu, die am Kamin standen, und begann durch ihre Köpfe hindurch, die ihm als Verschanzung dienten, sie mit jener eifersüchtigen Aufmerksamkeit zu beobachten, wie sie das erste Feuer der Leidenschaft eingibt: eine geheime Stimme schien ihm zu sagen, daß der Erfolg, dessen er sich rühmte, vielleicht doch kein ganz sicherer war. Doch das Lächeln kühler Höflichkeit, mit dem die Gräfin Herrn von Soulanges dankte, und die Handbewegung, mit der sie ihn verabschiedete,
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