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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod
Autoren: Meša Selimović
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warum, warum hast du mich hineingerissen?
Warum mich? Konntest du nicht einen andern finden? Zwanzig Jahre
diene ich ehrenhaft und anständig, und jetzt bin ich dein Opfer. Auch
Mula Jusuf wird das bestätigen."
    „Mula Jusuf wird genausowenig
zurückkommen."
    „Siehst du, du weißt es!"
    Umsonst war jedes Wort, für ihn war
ich der einzige Schuldige.
    Der Defterdar trat herein, er
wischte sich mit einem Seidentuch über das runde Gesicht, rot vor
Aufregung, doch er sprach leise und scheinbar ruhig.
    „Was heißt das, Derwisch, willst du
uns offen zum Narren halten? Na, in Ordnung, du hast das deine getan,
jetzt sind andere an der Reihe, das ihre zu tun. Sag mir bloß, worauf
hast du dich verlassen? Oder ist dir alles gleich?"
    „Nichts habe ich getan. Ich bin
genauso überrascht wie du."
    „Und was ist das da? Deine Anweisung
und dein Siegel."
    „Das hat mein Schreiber geschrieben,
Mula Jusuf."
    „Was du nicht sagst! Und warum
sollte es der Schreiber getan haben? War er mit dem Hasan verwandt? Oder
sein Freund – wie du?"
    „Ich weiß es nicht."
    „Er war nicht sein Freund",
mischte sich der Priri-Vojvoda ein. „Mula Jusuf ist ein Mann des Kadis, er
gehorcht ihm in allem."
    „Nicht sehr klug von dir, Ahmed
Nurudin. Wen glaubtest du eigentlich mit diesem dreisten Spiel zu
täuschen?"
    „Hätte ich meinen Namen darauf
gesetzt, so wäre ich in der Tat ein Narr. Oder ich wäre nicht hier. Begreifst
du das nicht?"
    „Du hast gemeint, wir wären Narren
und wir würden an deine Kindergeschichte glauben."
    „Ich kann's auf den Koran
schwören."
    „Ich bin sicher, daß du's kannst.
Und trotzdem kann der Fall gar nicht klarer liegen. Hasan ist dein Freund, dein
einziger und bester, du hast es selbst gesagt. Gestern habe ich gesehen,
wieviel dir an ihm liegt. Dein Schreiber aber hatte überhaupt keinen
persönlichen Grund, den Gefangenen zu befreien. Er hat nur dir gehorcht, als
dein Vertrauensmann. Da auch er geflohen ist, soll nun alle Schuld auf ihn
abgewälzt werden. Na gut, wenn du als Richter so einen Fall zu behandeln
hättest, wie würdest du entscheiden?"
    „Wenn ich den Mann kennte, so wie du
mich, würde ich seinem Wort glauben."
    „Ein schöner Beweis!"
    Der Piri-Vojvoda mischte sich ein:
„Auch ich hab's ihm gesagt: Alles hast du geschrieben. Um den Freund zu
retten."
    „Halt du den Mund! Dich haben sie
wie ein Blumensträußchen an die Weste gesteckt. In dir haben sie gerade den
Rechten gefunden – du zierst das ganze Durcheinander. Der Valija wird sich
darüber bestimmt sehr freuen."
    So fand ich mich in einer seltsamen
Lage. Je mehr ich mich zu rechtfertigen suchte, desto weniger glaubte man an
meine Geschichte, ja, mich selbst überzeugte sie immer weniger. Die Menschen
verbanden meinen Namen mit der Vorstellung von Freundschaft und Treue, die
einen verurteilend, die anderen anerkennend. Das eine hätte ich gelten lassen,
das andere nicht, aber offenbar geht nicht das eine ohne das andere. Ich nahm
das an, was mir eher behagte. Hafiz Muhamed hätte mir am liebsten die Hände
geküßt, Ali Hodscha nannte mich einen Menschen, der keine Angst hat, einer zu
sein, die Bürger der Stadt blickten mit Achtung auf mich, unbekannte Menschen
gaben bei Mustafa Geschenke für mich ab, und Hasans Vater, Alijaga, ließ mir
über Hadschi Sinanudin sagen, wie dankbar er mir sei. Ich konnte mich der
flüsternden Bewunderung nicht erwehren, und allmählich gewöhnte ich mich an
diesen Gedanken, nahm stillschweigend die Zuneigung an – als Lohn für den
größten Verrat, den ich begangen hatte. Steht den Menschen die Freundschaft so
über allem Zweifel? Oder waren sie gerührt, weil sie nicht so oft vorkommt? Es
glich einem groben Scherz – so manches hatte ich im Leben getan, Gutes und
Nützliches, um die Achtung der Menschen zu erwerben, doch was mir die Achtung
schließlich brachte, war eine häßliche Tat, die jeder als eine edle
betrachtete. Ich wußte, es war nicht verdient, aber es tat mir wohl, und
manchmal quälte mich der Gedanke, daß ich doch so hätte handeln sollen, wie
sie's glaubten. Freilich hätte sich daraus nichts anderes ergeben, außer in mir. Und trotzdem,
so war es besser (es war nicht gut, aber besser), die Menschen achteten mich,
als hätte ich es getan, und zugleich war ich sicher, jede Beschuldigung
abweisen zu können, denn ich wußte, ich hatte nichts getan. Und als von Hasan
und Mula ein Brief an den Mufti eintraf, von jenseits der westlichen Grenze des
Reiches, ein Brief, in
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