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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod
Autoren: Meša Selimović
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dem sie meine Unschuld bezeugten, indem sie alles
wahrheitsgetreu berichteten, da festigte das die Menschen erst recht in der
Überzeugung, alles sei nach Absprache zwischen uns geschehen (denn warum
sollten sie mich verteidigen, wenn ich gegen sie gehandelt hätte?). Ich hielt
diesen Brief für ein Beweisstück, mit dem ich jeden von meiner Unschuld
überzeugen würde.
    Ich hoffte, ich würde nun auch genug
Zeugen zu meinen Gunsten finden, wenn es zu einer Untersuchung käme.
    Doch zu einer Untersuchung kam es
nicht. Alles vollzog sich ohne mich, obgleich sich das Allerletzte einzig mit
mir vollziehen konnte.
    Eines Tages, gegen Abend, fand sich
Kara-Zaim bei mir ein, ganz aufgeregt, mehr seinetwegen als meinetwegen.
Vielleicht wäre er gar nicht gekommen, doch es war gerade der Tag, an dem er
sein monatliches Entgelt bekommen sollte, und an solchen Tagen brachte er
gewöhnlich Nachrichten, von denen er meinte, sie seien wichtig. Auch von
dieser meinte er, sie sei wichtig, und diesmal hatte er recht.
    Zuerst
wollte er einen größeren Betrag haben, denn er hatte dem Diener des Muftis
etwas bezahlen müssen – von ihm hatte er es erfahren.
    „Ist es so
wichtig?"
    „Ich glaube schon. Weißt du, daß
heute morgen ein Kurier aus Stambul eingetroffen ist?"
    „Ja. Aber
ich weiß nicht, warum."
    „Deinetwegen."
    „Meinetwegen?"
    „Schwöre, daß du mich nicht verraten
wirst. Leg die Hand auf den Koran. So. Heute abend werden sie dich
verhaften."
    „Hat er
eine Anweisung mitgebracht?"
    „Offenbar
ja. Den Katul-ferman."
    „Das heißt,
sie werden mich in der Festung erwürgen."
    „Das heißt,
sie werden dich erwürgen."
    „Nichts zu
machen – Schicksal."
    „Kannst du
fliehen?"
    „Wohin soll
ich fliehen?"
    „Ich weiß nicht, ich sag's nur so.
Hast du denn keinen, der dir helfen könnte? Wie du Hasan geholfen hast."
    „Ich habe
Hasan nicht geholfen."
    „Jetzt kommt es nicht mehr darauf
an. Du hast ihm geholfen, mag's dabei bleiben. Jawohl, du hast ihm geholfen,
zerstör nicht selbst dein Vermächtnis."
    „Ich danke dir, daß du gekommen
bist, du hast dich meinetwegen in Gefahr begeben."
    „Was soll ich tun, mein Scheich
Ahmed, die Armut treibt mich. Und du sollst auch wissen, daß es mir leid
tut."
    „Ich glaub dir's.
    „Du hast mir viel geholfen. Es ging
gleich besser, als ich dich wieder getroffen hatte. Wir sprechen oft von dir,
ich und meine Frau. Jetzt werden wir's noch öfter tun. Willst du, daß wir uns
küssen, Scheich Ahmed? Früher kämpften wir auf denselben Schlachtfeldern, mich
mußten sie zusammenflicken, du bliebst gesund, und nun will das Schicksal, daß
du noch vor mir dahingehst."
    „Ja, küssen wir einander, Kara-Zaim,
und gedenk meiner im guten."
    Er ging fort, mit Tränen in den Augen,
vernichtet von dem, was er mir gesagt hatte.
    Ich konnte nicht zweifeln, bestimmt
war es die Wahrheit. Umsonst hatte ich mich mit wahnwitzigen Hoffnungen
betrogen, es konnte ja nicht anders kommen. Der Valija hatte das Wehr
aufgezogen, und die wilde Flut riß mich fort.
    Ich wiederholte ohnmächtig: Vorbei,
das ist der Tod. Und ich begriff es nicht ganz, so wie damals in den Verliesen
der Festung, als ich gleichmütig auf ihn wartete. Jetzt schien er mir fern,
unbegreiflich, obwohl ich doch alles wußte. Der Tod, das Ende. Und mit einemmal
glaubte ich, angesichts des Dunkels, das mir drohte, erst sehend zu
werden, und mich packte das Entsetzen vor dem Nichtbestehen, vor diesem Nichts.
Ja doch, es ist der Tod, es ist das Ende! Letztes Hintreten vor das
schreckliche, allzu schreckliche Schicksal.
    Nein doch, nein! Ich will leben! Was
auch geschehen mag, ich will leben, meinetwegen am Rande des Todes, auf
schmalem Felsgrat über dem Tode, aber ich will leben. Ich muß! Ich werde
kämpfen, um mich beißen, werde fliehen, werde laufen, bis mir die Haut von den
Füßen platzt, ich werde jemanden finden, der mir hilft, ihm das Messer an die
Kehle setzen und verlangen, daß er mir hilft, auch ich habe anderen geholfen,
wenn ich's vielleicht auch nicht getan habe, fliehen werde ich vor dem Ende und
vor dem Tod.
    Entschlossen, mit einer Kraft, wie
sie die Angst und der Lebenswille eingibt, schritt ich auf den Ausgang zu.
Ruhig, nur ruhig, damit mich keine Hast und kein verstörter Blick verrät, bald
ist es Nacht, das Dunkel wird mich verbergen, ich werde schneller sein als ein
Windhund, leiser als eine Eule, der Morgen schon wird mich in einem tiefen
Walde finden, in einer fernen Gegend, ich darf nur nicht so
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