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Der Courier des Czar

Der Courier des Czar

Titel: Der Courier des Czar
Autoren: Jules Verne
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die Wachsamkeit der Belagerten doch etwas nach. Für jeden Fall hielten sich bei den Vorposten einige tausend Tartaren bereit, seiner Zeit gegen das von seinen Vertheidigern entblößte Thor vorzugehen, wenn von Iwan Ogareff die Stunde für den Angriff bestimmt worden wäre.
    Das konnte ja nicht lange dauern. Die Entscheidung mußte fallen, bevor die russischen Hilfstruppen vor Irkutsk anlangten. Iwan Ogareff’s Beschluß war gefaßt und an diesem Abend glitt ein Billet den Wall hinab in die Hand Sangarre’s.
    Am anderen Tage, in der Nacht vom 5. zum 6. October, wollte Iwan Ogareff Irkutsk den Todfeinden seines Vaterlandes überliefern.

Vierzehntes Capitel.
Die Nacht vom 5. zum 6. Oktober.
    Iwan Ogareff’s Plan war mit größter Sorgfalt vorbereitet und mußte, im Falle nicht ganz unvorhergesehene Ereignisse dazwischen traten, gewiß gelingen, wenn er nur dafür sorgen konnte, das Thor von Bolchala zur Zeit, wo er es ausliefern wollte, von Vertheidigern entblößt zu halten. Gleichzeitig sollte die Aufmerksamkeit der Belagerten nach einer anderen Seite der Stadt abgelenkt werden. So hatte er mit dem Emir verabredet.
    Ein Scheinangriff flußauf-und flußabwärts auf dem rechten Ufer der Angara sollte an beiden Stellen mit möglichster Kraftaufwendung ausgeführt und auch eine Ueberschreitung des Stromes nach dem linken Ufer versucht werden. Dabei durfte man voraussetzen, daß das Thor von Bolchala ziemlich verlassen werden würde, zumal da die tartarischen Vorposten vor demselben weiter zurückgezogen werden sollten, um den Glauben zu erregen, sie wären an anderen Stellen verwendet worden.
    Der 5. October war herangekommen. Vor Ablauf von vierundzwanzig Stunden sollte die Hauptstadt von Sibirien in den Händen des Emirs, der Großfürst in der Gewalt Iwan Ogareff’s sein.
    Im Laufe dieses Tages entstand in dem Thale der Angara eine ganz ungewöhnliche Bewegung. Von den Fenstern des Palastes und der Häuser am Ufer erkannte man deutlich, daß daselbst sehr umfassende Vorbereitungen betrieben wurden. Viele tartarische Abtheilungen marschirten nach einem Punkte zusammen und verstärkten die Truppenmacht, welche der Emir persönlich befehligte. Alles das gehörte zu der verabredeten Diversion und wurde möglichst auffällig in’s Werk gesetzt.
    Iwan Ogareff verhehlte auch dem Großfürsten nicht, daß von jener Seite ein Angriff zu befürchten sei. Er glaube annehmen zu müssen, sagte er, daß von beiden Seiten der Stadt ein Sturmangriff geplant werde, und rieth dem Großfürsten, die bedrohten Punkte möglichst zu verstärken.
    Alles, was man sehen konnte, bestätigte Iwan Ogareff’s Ansicht der man sich bald Rechnung zu tragen entschloß. Nach einem im Palais abgehaltenen Kriegsrathe erging der Befehl, die verfügbare Hauptmacht an beiden Enden der Stadt, wo sich deren Wälle auf den Strom stützten, zu concentriren.
    Das war es, was Iwan Ogareff vor Allem wünschte. Er rechnete zwar bestimmt nicht darauf, daß das Thor vor Bolchala ganz von Mannschaften entblößt würde, aber diese konnten doch nur in geringer Stärke daselbst verbleiben. Iwan Ogareff suchte der Diversion der Tartaren eine solche Bedeutung zu geben, daß der Großfürst sich genöthigt sehen sollte, alle disponiblen Kräfte gegen dieselbe aufzubieten.
    Die Verhältnisse wurden übrigens durch ein Ereigniß von ungewöhnlicher Bedeutung, wiederum einer Erfindung Iwan Ogareff’s, ungemein erschwert, ein Ereigniß, welches jedoch sehr wesentlich zur Erreichung seiner Absichten beitragen mußte. Wenn auch kein Angriff auf Irkutsk an den von dem Thore von Bolchala entferntesten Punkte unternommen wurde, so hätte jener Zwischenfall hingereicht, alle Kräfte der Vertheidiger dahin zu concentriren, wo es Iwan Ogareff wünschte. Gleichzeitig mußte es eine entsetzliche Katastrophe über die arme Stadt herbeiführen.
    Es waren also alle Aussichten vorhanden, jenes Thor zur bestimmten Stunde fast unbedeckt zu finden, während mehrere tausend Tartaren in Verstecken bereit lagen, gegen dasselbe anzustürmen.
    Während dieser Tage hielten sich die Garnison und die Bevölkerung von Irkutsk immerfort auf jedes Ereigniß gefaßt. Alle Maßnahmen zur Vertheidigung bei dem erwarteten Angriff auf bisher weniger beunruhigte Punkte wurden eiligst getroffen. Der Großfürst und der General Voranzoff visitirten die auf ergangenen Befehl verstärkten Posten. Das Elitecorps Wassili Fedor’s hielt den nördlichen Theil der Stadt besetzt, aber mit der Weisung, immer
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