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Der Coup von Marseille

Der Coup von Marseille

Titel: Der Coup von Marseille
Autoren: Peter Mayle
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ihrem Laster frönen. Als Elena und Sam die Kelche mit dem eisgekühlten Krug-Champagner von Mathilde entgegennahmen, hatten sie das Gefühl, ihr großzügiger Gastgeber habe das Menschenmögliche unternommen, um der Tortur einer Flugreise einen Anschein von Zivilisation zu verleihen.
    »Daran könnte ich mich sehr, sehr schnell gewöhnen«, meinte Elena. Sie sah aus wie das blühende Leben – mit ihren blitzenden Augen, der hell-olivfarben schimmernden Haut und den glänzenden rabenschwarzen Haaren –, sodass Sam sich insgeheim zu der Entscheidung gratulierte, den Auftrag angenommen zu haben.
    »Der Urlaub steht dir«, sagte er. »Warum machen wir das nicht öfter? Du arbeitest viel zu viel. Was ist schon die Versicherungsbranche im Vergleich zu einer Reise in das lebensfrohe Südfrankreich – an der Seite eines unwiderstehlichen Begleiters, der dich anbetet?«
    Elena musterte ihn und runzelte die Stirn. »Ich werde es dir verraten. Sobald ich den unwiderstehlichen Begleiter gefunden habe.«
    »Ah, les amoureux «, ertönte Rebouls Stimme hinter ihnen. »Hat sich Mathilde gut um das junge Traumpaar gekümmert?« Er hatte sein Miniaturbüro im hinteren Bereich des Flugzeugs verlassen und hielt einen sperrigen Aktenordner in der Hand. »Ich bitte um Verzeihung«, fuhr er fort, an Elena gewandt. »Aber ich muss Ihnen Sam für eine Weile entführen, um die Präsentation durchzugehen, solange wir die Chance auf ein bisschen Ruhe und Frieden haben. Nach unserer Ankunft in Marseille …« Er schüttelte den Kopf. »Trubel, Trubel, Trubel.«
    Elena lehnte sich in ihrem Sessel zurück und öffnete Sams alten, mit Eselsohren versehenen Cadogan-Reiseführer für Südfrankreich, der ihm wegen seiner Verlässlichkeit, seiner geschliffenen Formulierungen und seines erfrischenden Sinnes für Humor ans Herz gewachsen war. Sie schlug den Abschnitt über Marseille auf, gespannt, ob er wohl einen Hinweis auf Rebouls Behauptung enthielt, dass sich Marseille und Paris seit Jahrhunderten spinnefeind seien. Tatsächlich wurde sie schon in der Einführung in die Geschichte der Stadt fündig. Nach der Erklärung, dass ein freiheitsliebendes Marseille mit seinem Streben nach dauerhafter Autonomie vierzig Jahre lang den Zorn Ludwig XIV. herausgefordert hatte, hieß es weiter: »Im Jahre 1660 hatte der König genug und befahl, eine Bresche in die Mauern von Marseille zu schla gen, er demütigte die Stadt, indem er ihre eigenen Geschütze auf sie richten ließ.« (Die Geschütze hatten vorher auf das Meer gewiesen, um Piraten und Invasoren abzuschrecken, doch der Sonnenkönig war offensichtlich zu der Schlussfolgerung gelangt, dass die Bewohner der Stadt die größere Bedrohung darstellten.) Doch damit nicht genug. »Die von Ludwig eingesetzte Zentralregierung war wesentlich laxer als die abgesetzte kommunale Obrigkeit, was Themen anging, die für eine umsichtige Verwaltung des Hafens wichtig waren, beispielweise die Quarantänebestimmungen. Das Ergebnis war eine verheerende Pest, die sich 1720 in der ganzen Provence ausbreitete.
    Marseille war also dank der Pariser Einmischung von den eigenen Geschützen bedroht und von einer tödlichen Krankheit heimgesucht worden. Solche Schreckenserfahrungen pflegten sich für lange Zeit in den Köpfen festzusetzen, sie wurden mit zunehmender Verbitterung von einer Generation zur nächsten weitergegeben. Rebouls Bemerkung über den Hass der Marseiller auf die Hauptstadtbewohner, die Elena zunächst als Übertreibung abgetan hatte, schien ihr nun glaubwürdig zu sein.
    Sie ließ das Buch auf den Schoß sinken und blickte aus dem Fenster in die unendliche Weite des Abendhimmels, der blassblau, wolkenlos und windstill war. Der Flugkapitän hatte – mit einem nicht ganz authentisch wirkenden englischen Akzent, den er vermutlich in der Zauberschule für Piloten erworben hatte – angekündigt, dass sie dank des stetigen Rückenwindes rechtzeitig für ein Frühstück mit Croissants und café au lait in Marseille landen würden. Elena ließ sich in ihren Velourslederkokon zurücksinken und lauschte mit halbem Ohr dem Summen der Unterhaltung zwischen Reboul und Sam.
    Sam hatte völlig recht; sie arbeitete zu viel und würde sich in Kürze zwischen Berufs- und Privatleben entschei den müssen. Frank Knox, Gründer von Knox Insurance, konnte es kaum noch erwarten, endlich den ersehnten Ruhestand zu genießen und hatte Elena den Vorsitz des Unter nehmens angeboten. Blieb die Frage, ob sie wirklich die nächs ten
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