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Der Clan der Wildkatzen

Der Clan der Wildkatzen

Titel: Der Clan der Wildkatzen
Autoren: cbj Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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deine Wunden sauber lecken?« Mit den großen goldbraunen Augen sah er auf den zerfetzten Bauch, das blutende Gesicht und die gebrochenen Beine. Der Vogel hob den Kopf und der krumme Schnabel drückte seine Traurigkeit aus.
    » Es tut mir leid, Miao. Ist es sehr schlimm?«
    Sie blinzelte zustimmend. » Die anderen brauche ich nicht«, brachte sie mühsam hervor. » Meine Zeit ist gekommen.«
    » Aber nicht hier«, widersprach Tooth und betrachtete den Boden, der mit toten Körpern übersät war. Er spürte, dass es im Garten zu viele Wesen gab, tote und lebendige, als dass Miao hier ihren Frieden finden könnte. » Soll ich dich an einen stilleren Ort bringen?«
    Das war eine großzügige Geste und Miao war gerührt. Ihre blauen Augen sagten leise Ja. Der Milan spannte die Brustfedern, erhob sich in die Luft, kreiste zweimal um sie herum, stürzte sich dann in die Tiefe und nahm Miao am Genick, als wäre sie ein Kätzchen. Tooth war überrascht, wie leicht sie war. Die Siamkatze hatte immer so groß gewirkt.
    Es wurde ein kurzer Flug. Er brachte sie in einen Teil des verwilderten Gartens, wo die Mauer eingestürzt war, und legte sie auf den verlassenen hinteren Weg, der vom Garten zu einem anderen alten Haus führte.
    » Danke, Tooth«, sagte Miao und erwartete, dass der Milan nun davonfliegen würde. Er sah sie an, doch anstatt sich in die Lüfte zu erheben, faltete er die Flügel zusammen.
    » Meine Schuld ist beglichen«, sagte er. Betrübt sah er, wie sich ihre Rippen beim Atmen schwer hoben und senkten, und auch das Blutrinnsal, das ihr aus dem Maul lief, entging ihm nicht. » Aber nur zum Teil. Wir konnten nicht alle Kleinen retten. Ich hätte nicht gedacht, dass die Unbezähmbaren so schnell und so gnadenlos töten könnten.«
    » Ich auch nicht«, stieß Miao hervor. Der Milan sah sie genauer an. Sie wirkte so friedlich. Ihr schwarzer Schwanz war so schön wie immer, ihre blauen Augen angesichts des Todes ruhig, ihr cremefarbenes Fell war glatt geleckt, auch wenn sie ihre Pfoten nicht mehr hatte benutzen können, um die Zweige und den Staub herauszukämmen.
    » Manche der Kleinen haben sich gewehrt«, erzählte er. » Ao und Jao, die Eichhörnchen, haben ganze Arbeit geleistet. Und die Maus– Jethro– hat Datura gebissen. Tapfere kleine Wesen. Ich habe mich immer gefragt, warum du und ich uns so viel Sorgen um die Kleinen machen. Obwohl wir sie ja oft genug jagen.«
    » Vielleicht kennen wir sie besonders gut, weil wir sie jagen, Tooth«, sagte Miao. Sie flüsterte nur noch. » Deine Mutter– sie kannte alle Kleinen. Jagen ist eine Sache, Fürsorge eine andere.«
    Unfreiwillig flatterte der Milan mit den Flügeln. » Wer wird uns das alles beibringen, wenn es dich nicht mehr gibt, Miao?«, rief er.
    » Der neue Sender«, sagte Miao. » Pass gut auf sie auf, Tooth. Sie ist eine Drinnenkatze, aber eines Tages wird sie herauskommen, und dann braucht sie Freunde. Versprich mir, dass du auf sie aufpasst.«
    Tooth wollte sich weigern– er war doch kein Katzenbabysitter!–, aber er sah, wie das Licht in ihren Augen immer schwächer wurde. » Ja, Miao. Ich verspreche es dir.«
    Miao zuckte mit der Schwanzspitze, um sich zu bedanken, und dann schloss die Siamkatze die Augen. » Erzähl mir eine Geschichte, Tooth«, sagte sie. » Erzähl mir, wie es ist, durch den Himmel zu segeln.« Zum ersten Mal seit Jahren bat sie um eine Geschichte. Oft hatte sie selbst welche erzählt. Sogar die grimmigsten Jäger unter den Wilden Katzen hörten gern eine gute Geschichte und Miao konnte hervorragend erzählen.
    Jetzt lauschte sie, während der Milan davon sprach, wie es im großen weiten Himmel war und wie man dort die Sprache der Winde hören konnte, wenn man sich nur Mühe gab. Er erzählte ihr von anderen Milanen und von Raubvögeln, davon, neben den Fluggeräten der Großfüße zu fliegen, und vom gefährlichen Tanz der Milane mit den bunten Papierdrachen der Großfüße. Seine Stimme klang rau und heiser, aber Miao lauschte glücklich.
    Die harten Steine des Gartenwegs lösten sich auf, während der Milan redete. Miao spürte den Schmerz in den Rippen nicht mehr so stark. Stattdessen sammelte sich Dunkelheit um sie herum und Regen und Wind schienen kälter und kälter zu werden.
    » Ist es schon Nacht?«, fragte sie.
    » Nein«, sagte Tooth. » Es ist fast Mittag.«
    » Dann ist es sicherlich wegen des Sturms so dunkel.«
    Tooth plusterte das Gefieder auf und sah nach oben. Der Regen hatte aufgehört. Die Sonne war
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