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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese
Autoren: Henning Mankell
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beschlossen zu haben, eingesehen, dass sie kein neues Arbeitsjahr beginnen konnten, ohne zumindest den Anfang gemacht zu haben, über das zu sprechen, was ihre Ehe zu zerstören drohte. Für Birgitta Roslin war es das Wichtigste, dass Staffan aus eigenem Antrieb, ohne dass sie ihn gedrängt hätte, ihr nahezu völlig eingeschlafenes Sexualleben zur Sprache brachte. Er trauerte darum und war zugleich beängstigt von dem, was er als seinen Mangel an Lust und sein Unvermögen bezeichnete. Auf ihre direkte Frage versicherte er, dass es keine andere Frau gab, die ihn anzog. Was ihn quälte, war die fehlende Lust, aber er schob es meistens von sich.
     
    »Was willst du tun?« fragte sie. »Wir können nicht noch ein Jahr leben, ohne uns zu berühren. Das halte ich nicht aus.« 
    »Ich werde Hilfe suchen. Ich halte es nicht besser aus als du. Aber es fällt mir schwer, darüber zu sprechen.«
     
    »Du sprichst jetzt.«
     
    »Weil ich einsehe, dass es sein muss.«
     
    »Ich weiß fast nicht mehr, was du denkst. Manchmal sehe ich dich morgens an und denke, dass du ein fremder Mensch bist.« 
    »Du formulierst es besser, als ich es könnte. Aber mir geht es manchmal genauso. Vielleicht nicht ganz so stark.« 
    »Hast du wirklich gedacht, dass wir den Rest unseres Lebens so verbringen sollten?« 
    »Nein. Aber ich habe es vor mir hergeschoben. Doch ich verspreche dir, dass ich jetzt zu einem Therapeuten gehe.«
     
    »Möchtest du, dass ich mitkomme?«
     
    Er schüttelte den Kopf. »Nicht beim ersten Mal. Später, wenn es nötig ist.«
     
    »Verstehst du, was es für mich bedeutet?«
     
    »Ich hoffe es.«
     
    »Es wird nicht leicht sein. Aber im besten Fall können wir dies hinter uns lassen. Es war wie eine Wüste.«
     
    Zu Beginn seines ersten Arbeitstages, am 7. August, stieg er in den Zug nach Stockholm um 8 Uhr 12. Birgitta Roslin war erst um zehn Uhr in ihrem Büro. Weil Hans Mattsson noch Urlaub hatte, trug sie eine gewisse Verantwortung für das gesamte Amtsgericht und versammelte als Erstes die anderen Richter und das Büropersonal zu einer Besprechung. Als sie sich überzeugt hatte, dass alles unter Kontrolle war, zog sie sich in ihr Büro zurück und schrieb den langen Brief an Vivi Sundberg, den sie während des Sommers vorbereitet hatte. Sie hatte sich gefragt, was sie eigentlich erreichen wollte oder zumindest zu erreichen hoffte. Natürlich die Wahrheit, dass alles, was in Hesjövallen geschehen war, seine Erklärung erhielt, genauso wie der Mord an dem alten Hotelbesitzer. Aber verhielt es sich vielleicht auch so, dass sie eine Form von Rehabilitierung suchte nach dem Misstrauen, das ihr entgegengebracht worden war? Wie viel war Eitelkeit und wie viel der ernsthafte Versuch, die Ermittler in Hudiksvall zu der Einsicht zu bringen, dass der Mann, der Selbstmord begangen hatte, trotz seines Geständnisses nichts mit dem Ganzen zu tun hatte?
     
    Es hing in gewisser Weise auch mit ihrer Mutter zusammen. Damit, dass sie durch die Suche nach der Wahrheit die Pflegeeltern ihrer Mutter ehren wollte, die ein so schreckliches Ende gefunden hatten.
     
    Sie brauchte zwei Stunden, um den Brief abzufassen. Sie las ihn mehrmals durch, bevor sie ihn in einen Umschlag steckte und an Vivi Sundberg im Polizeipräsidium von Hudiksvall adressierte. Dann legte sie den Brief in das Fach für ausgehende Post in der Anmeldung und öffnete anschließend das Fenster ihres Büros weit, wie um alle Gedanken an die Toten in den einsamen Häusern in Hesjövallen entweichen zu lassen.
     
    Den Rest des Tages verbrachte sie mit der Lektüre einer Ausschussvorlage aus dem Justizministerium bezüglich einer der anscheinend endlosen Umorganisationen, von denen das schwedische Gerichtswesen betroffen war.
     
    Aber sie nahm sich auch die Zeit, einen ihrer unfertigen Schlagertexte hervorzuholen und zu versuchen, ein paar Zeilen zu schreiben.
     
    Die Idee dazu war ihr im Urlaub gekommen. »Eine Wanderung am Strand« sollte der Titel lauten. Aber gerade heute fehlte die Inspiration. Sie warf ein paar misslungene Versuche in den Papierkorb und verschloss den unfertigen Text in einer ihrer Schubladen. Aber sie war entschlossen, nicht klein beizugeben.
     
    Um sechs Uhr schaltete sie den Computer aus und verließ ihr Büro. Im Hinausgehen sah sie, dass das Fach für ausgehende Post geleert war.
     
    »Liu versteckte sich am Waldrand und dachte, dass er endlich doch ans Ziel gekommen war. Er hatte nicht vergessen, dass Ya Ru ihm gesagt
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