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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese
Autoren: Henning Mankell
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beenden. Er stand auf und zog die Gardine zur Seite. Es hatte in der Nacht geschneit. Es war grau, am Horizont war noch keine Sonne zu sehen. Eine dick vermummte Frau radelte unten auf der Straße vorbei. Karsten blickte ihr nach und fragte sich, wie kalt es sein mochte. Minus fünf Grad, vielleicht minus sieben. Nicht mehr.
     
    Er zog sich an und fuhr mit dem langsamen Aufzug nach unten. Seinen Wagen hatte er auf dem Innenhof des Hotels geparkt. Dort stand er sicher. Die Fototaschen nahm er trotzdem immer mit aufs Zimmer. Sein schlimmster Albtraum war, eines Tages vor seinem Wagen zu stehen und zu entdecken, dass seine Fototaschen fort waren.
     
    An der Rezeption war eine junge Frau, fast noch ein Teenager. Er sah, dass sie nachlässig geschminkt war, und ließ den Gedanken fallen, sich über das Bett zu beschweren. Er würde doch nie wieder in dieses Hotel zurückkommen.
     
    Im Frühstücksraum saßen nur wenige Gäste, über ihre Zeitungen gebeugt. Einen Moment lang fühlte er sich versucht, eine Kamera herauszuholen und ein Bild dieses von Schweigen erfüllten Frühstücksraums zu machen. Irgendwie vermittelte es ihm den Eindruck von einem Schweden, das immer schon so ausgesehen hatte. Schweigende Menschen, über Zeitungen und Kaffeetassen gebeugt, jeder mit seinen eigenen Gedanken, seinem eigenen Schicksal befasst. Er gab den Gedanken auf, schenkte sich Kaffee ein, machte sich zwei belegte Brote und nahm ein weichgekochtes Ei. Weil keine Zeitung mehr für ihn da war, aß er schnell. Es widerstrebte ihm, allein an einem Tisch zu sitzen und zu essen, ohne etwas zu lesen zu haben.
     
    Draußen war es kälter, als er erwartet hatte. Er stellte sich auf die Zehenspitzen und schaute auf das Thermometer neben dem Fenster der Rezeption. Elf Grad unter null. Außerdem noch fallend, dachte er. Der Winter bisher war viel zu warm gewesen. Jetzt kommt die Kälte, auf die wir so lange gewartet haben.
     
    Er stellte die Taschen auf den Rücksitz, ließ den Motor an und begann, die Windschutzscheibe frei zu kratzen. Auf dem Sitz lag eine Straßenkarte. Am Tag zuvor hatte er darauf den Weg zu dem letzten Dorf gesucht, als er nach dem Fotografieren in einem Ort in der Nähe des Hasselasjö eine Pause gemacht hatte. Zuerst würde er die Hauptstraße nach Süden nehmen und bei Iggesund in Richtung Sörforsa abbiegen. Dann gab es zwei Möglichkeiten, er konnte östlich oder westlich vom See fahren, der abwechselnd Storsjön oder Längsjön hieß. Diese Straße war schlecht, wie er an einer Tankstelle an der Einfahrt nach Hudiksvall erfahren hatte. Dennoch beschloss er, sie zu nehmen. Es würde schneller gehen. Und es war ein schönes Licht an diesem Wintermorgen. Er konnte sich schon den Rauch aus den Schornsteinen vorstellen, der senkrecht zum Himmel aufstieg.
     
    Er brauchte vierzig Minuten. Da hatte er sich einmal verfahren und war auf eine Straße eingebogen, die nach Süden führte, nach Näcksjö.
     
    Hesjövallen lag in einem kleinen Tal an einem See, an dessen Namen Karsten sich nicht erinnerte. Vielleicht Hesjön? Die dichten Wälder reichten bis an den Rand des Dorfs, das an dem zum See hin abfallenden Hang lag, auf beiden Seiten der Landstraße, die nach Hälsingland hinaufführte.
     
    Karsten hielt am Eingang des Dorfs und stieg aus dem Wagen. Die Wolkendecke war aufgerissen. Das Licht würde ihm Probleme bereiten, es würde auch weniger ausdrucksvoll sein. Er blickte sich um. Die Häuser lagen, wo sie lagen, es war sehr still. In der Ferne hörte er Autos auf der Hauptstraße vorbeifahren.
     
    Eine leichte Beklemmung befiel ihn. Er hielt den Atem an, wie immer, wenn er nicht richtig wusste, was er vor sich hatte.
     
    Dann sah er, was es war. Die Schornsteine. Sie waren kalt. Der Rauch fehlte, der einen so guten Effekt auf den Bildern abgegeben hätte. Langsam ließ er den Blick über die Häuser zu beiden Seiten der Straße gleiten. Jemand hat den Schnee beiseitegeräumt, dachte er. Aber niemand ist aufgestanden und hat Feuer in Herden und Öfen gemacht. Er dachte an den Brief von dem Mann, der ihm von diesem Dorf erzählt hatte. Darin war von den Schornsteinen die Rede gewesen und davon, wie die Häuser einander auf kindliche Art und Weise Rauchsignale sandten.
     
    Er seufzte. Man bekommt Briefe, dachte er. Die Leute schreiben nicht, was wahr ist, sondern etwas anderes, wovon sie glauben, man wolle es lesen. Jetzt kann ich die kalten Schornsteine fotografieren. Oder sollte er die ganze Angelegenheit
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