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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese
Autoren: Henning Mankell
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und ging auf das nächste Haus zu. Die anderen folgten ihr. Es war inzwischen ein paar Minuten nach elf geworden.
     
    Das Folgende sollte in die schwedische Rechtsgeschichte eingehen. Was die drei Polizisten entdeckten, war beispiellos in der schwedischen Kriminalgeschichte. Sie gingen mit gezogenen Waffen von Haus zu Haus. Überall trafen sie auf Tote. Hunde und Katzen lagen erschlagen daneben, sie fanden sogar einen Papagei mit abgetrenntem Kopf. Insgesamt zählten sie neunzehn Tote, sämtlich ältere Menschen, bis auf einen etwa zwölfjährigen Jungen. Manche waren im Schlaf in ihren Betten getötet worden, andere lagen auf dem Boden oder saßen auf Stühlen an ihren Küchentischen. Eine alte Frau war mit dem Kamm in der Hand gestorben, ein Mann am Herd mit einem ausgelaufenen Kaffeekessel neben sich. In einem der Häuser fanden sie zwei Menschen, die aneinandergefesselt waren. Alle waren mit der gleichen rasenden Gewalt getötet worden. Als hätte ein blutiger Orkan unter den alten Menschen gewütet, die gerade den Tag begonnen hatten. Weil alte Menschen auf dem Lande oft früh aufstehen, vermutete Vivi Sundberg, dass die Morde in der Nacht oder am frühen Morgen begangen worden waren. Vivi Sundberg fühlte sich, als wäre ihr Kopf von Blut getränkt. Obwohl sie aufgewühlt war und zitterte, wurde sie ganz und gar kalt. Es war, als betrachtete sie die toten und entstellten Körper durch ein Fernglas, so dass sie nicht allzu nahe heranzukommen brauchte.
     
    Da war auch der Geruch. Obwohl die Leichen kaum erkaltet waren, sonderten sie schon einen zugleich süßen und bitteren Geruch ab. Solange Vivi Sundberg im Inneren eines Hauses war, atmete sie durch den Mund. Wenn sie an die frische Luft kam, atmete sie tief und heftig durch. Über die Schwelle des nächsten Hauses zu treten erforderte eine fast übermenschliche Kraftanstrengung.
     
    Alles, was sie vor sich sah, ein Körper nach dem anderen, zeugte von der gleichen Raserei, alle wiesen Verletzungen auf, die mit einer scharf geschliffenen Handwaffe zugefügt worden waren. Die Liste, die sie später am Tag anfertigte und die sie nie jemandem zeigte, bestand aus kurzen Erinnerungsnotizen, die exakt beschrieben, was sie gesehen hatte: Haus Nummer eins: Toter älterer Mann, halbnackt, zerrissener Schlafanzug, Pantoffeln, halb liegend auf der Treppe zum Obergeschoss. Der Kopf fast ganz vom Rumpf getrennt, der linke Daumen einen Meter vom Körper entfernt. Tote ältere Frau, Nachthemd, Bauch aufgeschlitzt, Gedärme teilweise ausgetreten, Gebiss zerschlagen.
     
    Haus Nummer zwei: Toter Mann und tote Frau, beide alt, mindestens achtzig Jahre. Körper im Doppelbett im Erdgeschoss. Die Frau kann mit einem Schlag von der linken Schulter über die Brust zur rechten Hüfte getötet worden sein. Der Mann hat versucht, sich mit einem Hammer zu wehren, dabei ist ihm der Arm abgeschlagen worden, die Kehle durchgeschnitten. Seltsam ist, dass die Körper zusammengebunden sind. Es sieht so aus, als wäre der Mann noch am Leben gewesen, als er an die bereits tote Frau gefesselt wurde. Habe dafür natürlich keinen Beweis, nur eine Eingebung. In kleinem Schlafraum ein toter Junge. Kann im Schlaf getötet worden sein.
     
    Haus Nummer drei: Eine Frau, allein, tot auf dem Küchenfußboden. Hund von unbestimmter Rasse zerstückelt neben ihr. Das Rückgrat der Frau scheint an mehr als einer Stelle gebrochen zu sein.
     
    Haus Nummer vier: Toter Mann im Hausflur. In Hose und Hemd, barfuß. Hat wahrscheinlich versucht, Widerstand zu leisten. Körper in der Mitte fast durchtrennt. Ältere Frau in der Küche sitzend. Zwei, eventuell drei Hiebe auf die Schädeldecke.
     
    Haus Nummer sieben: Zwei ältere Frauen und ein älterer Mann tot in ihren Betten im Obergeschoss. Eindruck: Sie waren wach, bei Bewusstsein, konnten aber nicht mehr reagieren. Erschlagene Katze in der Küche.
     
    Haus Nummer acht: Älterer Mann tot im Freien, das eine Bein weg. Zwei Hunde mit abgeschlagenen Köpfen. Frau tot auf der Treppe, extrem verstümmelt.
     
    Haus Nummer neun: Vier tote Personen im Wohnzimmer im Erdgeschoss. Halb bekleidet, mit Kaffeetassen, Radio an. Drei ältere Frauen, ein älterer Mann. Alle mit ihren Köpfen im Schoß.
     
    Haus Nummer zehn: Zwei sehr alte Menschen, Mann und Frau, tot in ihren Betten. Kann nicht sagen, ob sie sich dessen bewusst waren, was mit ihnen passierte.
     
    Gegen Ende ihrer Liste konnte sie sich nicht mehr alle Einzelheiten in Erinnerung rufen. Was sie gesehen
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