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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese
Autoren: Henning Mankell
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eigentlich in Afrika?«
     
    »Es besteht ein Plan, dass China Millionen seiner armen Bauern in verschiedene afrikanische Länder umsiedeln soll. Jetzt ist man dabei, politische und wirtschaftliche Strukturen umzusetzen, mit deren Hilfe ein Teil dieser armen Länder von China abhängig gemacht wird. Für Ya Ru war dies keine zynische Wiederholung des Kolonialismus, den die westliche Welt früher praktiziert hat. Für ihn war dies eine vorausschauende Lösung. Für Hong dagegen, für mich und Ma Li und viele andere ist es ein Angriff auf die eigentlichen Grundlagen des China, das wir selbst mit aufgebaut haben.« 
    »Ich verstehe das nicht«, sagte Birgitta Roslin. »China ist eine Diktatur. Die Freiheit ist ständig eingeschränkt, die Rechtssicherheit schwach. Was wollen Sie eigentlich verteidigen?«
     
    »China ist ein armes Land. Die wirtschaftliche Entwicklung, von der alle reden, kommt nur einem begrenzten Teil der Bevölkerung zugute. Wenn dieser Weg, China in die Zukunft zu führen, mit einer Kluft, die sich ständig erweitert, wenn dieser Weg weiter beschritten wird, muss er in eine Katastrophe führen. China wird in ein hoffnungsloses Chaos zurückgeworfen werden. Oder es wird zur Ausbildung starker faschistischer Strukturen kommen. Wir verteidigen die Hunderte von Millionen Bauern, die trotz allem jene sind, die mit ihrer Arbeit die Entwicklung tragen. Eine Entwicklung, an der sie selbst immer weniger teilhaben.«
     
    »Dennoch kann ich es nicht verstehen. Ya Ru auf der einen Seite, Hong auf der anderen? Plötzlich hört das Gespräch zwischen ihnen auf, und er tötet seine Schwester?« 
    »In dem Machtkampf, der in China im Gange ist, geht es um Leben und Tod. Arm gegen Reich, Machtlos gegen Mächtig. Es geht um Menschen, die mit wachsender Wut sehen, wie all das, wofür sie gekämpft haben, wieder zunichtegemacht wird, und es geht um jene anderen, die nur die Möglichkeit sehen, eigene Reichtümer und Machtpositionen zu erwerben, von denen sie früher nicht einmal träumen konnten. Dann sterben Menschen. Die Winde, die wehen, sind wirkliche Winde.«
     
    Birgitta Roslin blickte San an. »Erzählen Sie von Ihrer Mutter.«
     
    »Sie haben sie nicht gekannt?«
     
    »Wir sind uns begegnet. Aber wirklich gekannt habe ich sie nicht.«
     
    »Es war nicht einfach, ihr Sohn zu sein. Sie war stark, bestimmt, oft fürsorglich, konnte aber auch zornig und böse sein. Ich gebe gern zu, dass ich Angst vor ihr hatte. Aber ich liebte sie auch, weil sie versuchte, sich als Teil von etwas Größerem zu sehen. Sie half mit der gleichen Selbstverständlichkeit einem Betrunkenen von der Straße auf, wie sie intensive politische Diskussionen führte. Für mich war sie mehr ein Mensch, zu dem ich aufsah, als wirklich meine Mutter. Nichts war einfach. Aber sie fehlt mir, und ich weiß, dass ich den Verlust mein Leben lang empfinden werde.« 
    »Was machen Sie?«
     
    »Ich will Arzt werden. Aber jetzt habe ich mein Studium für ein Jahr unterbrochen. Um zu trauern. Um zu verstehen, was es bedeutet, ohne sie zu leben.«
     
    »Wer ist Ihr Vater?«
     
    »Ein Mann, der seit langem tot ist. Er schrieb Gedichte. Ich weiß nicht viel mehr von ihm, als dass er kurz nach meiner Geburt starb. Meine Mutter sprach nicht viel von ihm, aber sie betonte, dass er ein guter Mensch und Revolutionär war. In meinem Leben ist er nur als eine Fotografie vorhanden, auf der er einen Hundewelpen in den Armen hält.« Sie sprachen an diesem Abend noch lange über China. Birgitta Roslin gestand, dass sie in ihrer Jugend Rotgardistin in Schweden hatte sein wollen. Aber die ganze Zeit saß sie ungeduldig da und wartete auf den Augenblick, in dem sie die Papiere lesen konnte, die Ho mitgebracht hatte. Gegen zehn Uhr telefonierte sie nach einem Taxi, das Ho und San zum Bahnhof fahren sollte. »Lassen Sie von sich hören, wenn Sie es gelesen haben«, sagte Ho.
     
    »Hat die Geschichte ein Ende?«
     
    Ho dachte nach, bevor sie antwortete. »Es gibt immer ein Ende«, sagte sie. »Auch hier. Aber das Ende ist stets der Anfang von etwas Neuem. Die Punkte, die wir im Leben setzen, sind immer nur vorläufig.«
     
    Birgitta Roslin blickte dem Taxi nach und setzte sich dann vor die Übersetzung von Ya Rus Tagebuch. Staffan würde erst am nächsten Tag nach Hause kommen. Dann würde sie alles gelesen haben. Es waren nicht mehr als zwanzig Seiten, aber Hos Handschrift war schwer zu lesen, denn die Buchstaben waren klein.
     
    Was las sie? Später, wenn sie
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