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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese
Autoren: Friedrich Glauser
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die Nerven gegangen, weil du das Reimlein erfunden hast: ›Bruder-Studer‹. Verzeih… Ich hab' dich damals nicht ernst genommen, hab' gedacht, du spielest Komödie oder krankest am Größenwahn. Warum hast du mir nicht alles gesagt? Warum hast du mich nicht gebeten, bei dir zu bleiben? Vielleicht hätt' ich dich schützen können. – Ich will gerne zugeben, ich habe gemeint, du habest zu viel Abenteuerromane gelesen. Ich glaubte, irgendeine ›Späte Rache‹ spuke in deinem Kopfe. Und jetzt hat dich doch einer erschossen. Denn was dieser Doktor erzählt, ist einewäg Chabis. Der geschniegelte Statthalter ist im Recht – genau so im Recht wie du…«
    Die Taschen waren leer und daher wandte sich der Wachtmeister an die anwesende Amtsperson, die graue Gamaschen trug.
    »Haben Sie die Taschen durchsucht?«
    »Nein! Ich habe nur die Wunde gesehen.«
    »Ich auch«, krächzte Doktor Buff. »Aber etwas anderes habe ich noch feststellen können: Aus der Waffe, die neben der Rechten des Toten liegt, ist ein Schuß abgefeuert worden.«
    Studer reckte sich auf und fragte: »Woher wissen Sie das, Herr Doktor?«
    »Sie brauchen nur an der Mündung des Laufes zu schmöcken, Wachtmeister.«
    Studer dachte bei sich: »Lieber verlange ich von Bern ein Sanitätsauto und laß die Leiche ins Gerichtsmedizinische bringen, als daß du mir die Sektion machst!« Laut sagte er:
    »Ich werde Euch auf dem laufenden halten, Herr Statthalter. Aadiö wou, Herr Doktor!« Er führte zwei Finger zur Krempe seines Hutes und verließ den Friedhof. Als er sich am Tore umwandte, sah er die beiden wieder heftig miteinander streiten, während der uniformierte Landjäger wie eine Statue reglos zu Häupten des Grabes stand. Die drei verbargen die Leiche des ›Chinesen‹, die auf dem frischen Grabe lag.
    Der Nebel war dünner geworden, Sonnenlicht durchsetzte ihn, so daß er wie rohe Seide glänzte…

Angst
    Diesmal betrat Studer das richtige Zimmer; er ging an der Türe vorbei, die in den Privatraum des Wirtes führte und sah das mit Aluminiumfarbe bestrichene Öfeli nur in der Erinnerung; dann stand er inmitten der Gaststube. Da hörte er ein Glas zu Boden fallen und zersplittern. Hinter dem Schanktisch bückte sich die Serviertochter Hulda Nüesch, ihre braunen Zöpfe lagen als Kranz um den Kopf und es kam Studer vor, als sei die Haut ihres Gesichtes noch bleicher als in jener fernen Julinacht.
    »Was hescht, Huldi?« Keine Antwort.
    – Sie solle ihm einen Dreier Roten und eine Portion Hamme bringen.
    »Ja… Herr… Herr… Wachtmeister!« Furchtsam drückte sich das Mädchen zur Tür hinaus.
    In der Stube roch es nach erkaltetem Stumpenrauch, nach schalem Bier. Umständlich zündete Studer eine Brissago an, zog sein Notizbüchlein aus der Tasche und netzte die Spitze seines Bleistiftes:
    »Farny James Jakob«, schrieb er, »geboren am 13. März 1878, heimatberechtigt in Gampligen.«
    Einmal nur hatte er diese Daten gesehen, ganz flüchtig, und doch erinnerte er sich ihrer, als ob er die Seite des Passes, auf der sie standen, photographiert in seinem Kopfe trüge. Weiter schrieb er in seiner winzigen Schrift:
    »Verwandte des Farny?
Brüder? Schwestern? Nichten?
Warum lag die Leiche auf dem Grab der verstorbenen Frau Hungerlott?
Muß im Pyjama erschossen worden sein! Suchen nach Pyjama!
Telephonieren ans Gerichtsmedizinische…«
    Er sah sich im Raume um; hinter dem Schanktisch stand ein Buffet, dessen oberer Teil mit Flaschen gefüllt war. Auf einer Ecke der Marmorplatte stand ein Telephon. Studer drängte sich an der Saaltochter vorbei, die Gläser putzte, stellte die Nummer des Gerichtsmedizinischen Institutes ein und verlangte Dr. Malapelle zu sprechen. Halb in italienischer Sprache, halb in deutscher gab er seine Wünsche kund. Die Leiche eines Erschossenen solle so bald als möglich abgeholt werden, eine Sektion sei notwendig, morgen hoffe er nach Bern zu kommen und die Resultate zu vernehmen. Auf Wiedersehen…
    Die Brissago war natürlich ausgegangen. Während er sie von neuem in Brand setzte, blickte Studer durchs Fenster. Ein Hochplateau fiel fünfhundert Meter weiter steil ab, auf der anderen Seite des Tales sah man verschwommen durch den Nebel das herbstlich bunte Laub eines Waldes leuchten, welches abgegrenzt wurde vom dunklen Grün einiger Tannen.
    »Hier… hier… Herr Wachtmeister!«
    »Märci!«
    Studer schenkte sein Glas voll – es war rosaroter Landwein – das Mädchen beeilte sich zu verschwinden und der Uralte betrat das
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