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Der Canyon

Der Canyon

Titel: Der Canyon
Autoren: Douglas - Preston
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Felsvorsprung, bedeckt mit Frauenhaarfarn, von dem Wasser in ein uraltes Bassin tröpfelte; in prähistorischer Zeit hatten Indianer es in den Sandstein gehauen. Weathers beschloss, lieber dort zu lagern statt an der Chama Bend, wo er ein leichtes Ziel abgegeben hätte. Es war besser, auf Nummer sicher zu gehen.
    Er marschierte um die riesige Felsnadel herum, die den Eingang markierte. Mehr als dreihundert Meter hoch ragten die Wände der Schlucht über ihm auf – äolischer Sandstein, die majestätische Entrada-Formation, die verdichteten Überreste einer jurassischen Wüste. Im Canyon war es kühl und eigenartig still, wie im Innern einer gotischen Kathedrale. Tief atmete er die angenehme Luft ein, die nach Tamarisken duftete. Das Licht auf den angeblich Unheil bringenden Felsformationen über ihm glich nun nicht mehr Weißgold, sondern Kupfer, denn die Sonne sank dem Horizont entgegen.
    Weathers setzte seinen Weg in das Netz aus Canyons fort und näherte sich der Stelle, wo der Hanging Canyon auf den Mexican Canyon traf – die erste von vielen solchen Abzweigungen. Im Labyrinth nutzte einem die beste Karte nichts. Und die Canyons waren so tief, dass GPS und Satellitentelefone auch nicht funktionierten.
    Der erste Schuss traf Weathers von hinten in die Schulter, und es fühlte sich eher an wie ein harter Faustschlag denn wie ein Projektil. Er fiel auf Hände und Knie, wie gelähmt vor Staunen. Erst als er den Knall und das Echo in den Canyons hörte, wurde ihm klar, dass jemand auf ihn geschossen hatte. Noch spürte er keinen Schmerz, nur eine seltsame Taubheit, aber er sah Knochensplitter aus seinem zerfetzten Hemd ragen, Blut schoss in einer rhythmischen Fontäne hervor und klatschte auf den Sand.
    Herr im Himmel.
    Taumelnd kam er wieder auf die Beine, als der zweite Schuss direkt neben ihm den Sand aufspritzen ließ. Die Schüsse kamen vom Plateau über ihm, von rechts. Er musste zurück in den Canyon, zweihundert Meter weit – hinter die Felsnadel. Es gab hier keine andere Deckung. Er rannte um sein Leben.
    Der dritte Schuss wirbelte Sand vor ihm auf. Weathers rannte und sah, dass er noch eine Chance hatte. Der Angreifer hatte sich oben am Rand in Stellung gebracht und würde mehrere Stunden für den Abstieg brauchen. Wenn Weathers es hinter diese Felsnadel schaffte, konnte er vielleicht noch entkommen. Er rannte im Zickzack, und seine Lunge kreischte vor Schmerz. Fünfzig Meter, vierzig, dreißig –
    Er hörte den Schuss erst, nachdem er das Projektil im Rücken gespürt hatte. Er sah seine eigenen Gedärme, die sich vor ihm auf den Sand ergossen, und wurde vornübergeschleudert. Er versuchte aufzustehen, schluchzend und um sich schlagend, entsetzlich wütend, weil nun jemand seinen Fund stehlen würde. Er wand sich, heulte, klammerte sich an sein kleines Notizbuch, das er wegwerfen, verstecken, zerstören wollte, um es vor dem Mörder in Sicherheit zu bringen – doch er konnte es hier nirgends verstecken, und dann war alles wie in einem Traum, er konnte nicht mehr denken, sich nicht bewegen …

2
    Tom Broadbent zügelte sein Pferd. Vier Schüsse hallten von den gewaltigen, hohen Canyons östlich des Flusses den Joaquin Wash entlang. Er fragte sich, was das bedeuten mochte. Jetzt war keine Jagdsaison, und niemand, der noch ganz bei Trost war, würde in diesen abgelegenen Canyons Schießübungen veranstalten.
    Er sah auf die Uhr. Es war acht. Die Sonne war eben hinter dem Horizont versunken. Die Echos kamen offenbar von dem Haufen seltsam geformter Felsen am Eingang zum Labyrinth. Es wäre ein Ritt von höchstens einer Viertelstunde. Er hatte Zeit genug für einen kleinen Umweg. Bald würde der Vollmond aufgehen, und seine Frau Sally rechnete ohnehin nicht vor Mitternacht mit ihm.
    Er lenkte sein Pferd Knock das trockene Flussbett hinauf auf den Canyon zu und stellte fest, dass er den frischen Spuren eines Menschen und eines Esels folgte. Er kam um eine Biegung und entdeckte vor sich einen dunklen Umriss auf dem Boden: ein Mann, bäuchlings ausgestreckt.
    Er ritt hinüber, schwang sich aus dem Sattel und kniete sich mit hämmerndem Herzen neben die Gestalt. Der Mann war in den unteren Rücken und in die Schulter getroffen worden, und immer noch sickerte Blut in den Sand. Tom legte die Finger an die Halsschlagader – nichts. Er drehte den Mann um, wobei dessen restliche Eingeweide in den Sand rutschten.
    Tom arbeitete rasch: Er wischte dem Verletzten den Sand aus dem Mund und beatmete ihn. Dann beugte er
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