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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt
Autoren: Hanif Kureishi
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Geländer halb verborgen, Charlie, ihren Sohn, der auf meiner Schule in die Abschlußklasse ging und fast ein Jahr älter war. Er war ein Junge, den die Natur so überreich mit Schönheit bedacht hatte - seine Nase so gerade, seine Wangenknochen so hoch, seine Lippen solch knospende Rosen -, daß man davor zurückschreckte, sich ihm zu nähern, weshalb er oft allein war. Männer und Jungen bekamen eine Erektion, wenn sie bloß mit ihm im selben Raum waren; andere, die nur mit ihm im selben Land lebten, reagierten genauso. Frauen seufzten in seiner Gegenwart - und Lehrern sträubten sich die Haare. Vor ein paar Tagen, bei einer Schulversammlung, als die Lehrer wie ein Schwarm Krähen auf der Bühne saßen, ließ sich der Direktor lang und breit über Vaughan Williams aus. Wir sollten uns dessen »Fantasia on Greensleeves« anhören. Als Yid, der Religionslehrer, feierlich den Saphir auf die staubige Platte setzte, begann Charlie, der etwas weiter in meiner Reihe stand, auf und ab zu wippen und den Kopf zu schütteln. Er flüsterte: »Hey, Leute, das müßt ihr euch reinziehen! Genießt es!« - »Was liegt an?« fragten wir. Wir fanden es bald genug heraus, denn als der Direktor sich zurücklehnte, um sich besser an den lieblichen Klängen Vaughans ergötzen zu können, ließ das erste Zischen von »Come Together« die Lautsprecher aufklirren. Und während Yid sich an den anderen Lehrern vorbeidrängte, um den Plattenspieler abzustellen, sang die halbe Schule: »...groove it up slowly ...he got ju-ju eye-balls ...he got hair down to bis knees ...« Charlie bekam dafür vor unseren Augen den Rohrstock.
    Jetzt senkte er seinen Kopf ein zweiunddreißigstel Zentimeter, um anzudeuten, daß er von meiner Anwesenheit Notiz nehme. Auf dem Weg zu Eva hatte ich absichtlich jeden Gedanken an ihn vermieden. Ich hatte nicht damit gerechnet, daß er zu Hause sein würde, deshalb war ich ja auch in die Three Tuns gegangen, falls er dort auf den ersten Drink des Abends vorbeikommen würde.
    »Gut, dich zu sehen, Mann«, sagte er und kam langsam die Treppen runter.
    Er umarmte Dad und nannte ihn beim Vornamen. Er hatte Stil, wie immer, und unglaubliches Selbstvertrauen. Als er uns ins Wohnzimmer folgte, zitterte ich vor Aufregung. Im Schachklub ging es mir nie so.
    Mum sagte oft, Eva sei eine fürchterliche Angeberin und ein Großmaul, und selbst ich sah ein, daß Eva etwas Lächerliches an sich hatte, aber sie war der einzige Mensch über dreißig, mit dem ich reden konnte. Sie war entweder ständig guter Laune oder engagierte sich leidenschaftlich für etwas. Jedenfalls legte sie ihren Gefühlen keinen Panzer an wie der Rest der elenden Untoten um uns herum. Ihr gefiel das erste Album der Rolling Stones. Die Third Ear Band fand sie spitze. In unserer guten Stube führte sie Isadora-Duncan-Tänze auf und erzählte mir dann, wer Isadora Duncan gewesen war, und warum sie Schals gemocht hatte. Eva war beim letzten Konzert der Cream gewesen. Auf dem Schulhof, bevor wir in die Klassenzimmer gingen, hatte uns Charlie von ihrer letzten Wahnsinnstat erzählt: Sie hatte ihm und seiner Freundin Eier und Speck ans Bett gebracht und gefragt, ob es ihnen Spaß gemacht habe, miteinander zu schlafen.
    Wenn sie zu uns kam, um Dad zum Schriftstellerkurs abzuholen, rannte sie immer zuerst in mein Schlafzimmer, um über meine Marc-Bolan-Bilder herzuziehen. »Was liest du? Zeig mir deine neuen Bücher!« verlangte sie. Und einmal: »Warum um alles in der Welt magst du Kerouac, du armes Unschuldslamm? Weißt du, was Truman Capote mal über ihn gesagt hat?«
    »Nein.«
    »Er sagte: >Das nenn ich nicht Schreiben, das nenn ich Tippen. <«
    »Aber Eva...«
    Um ihr eine Lektion zu erteilen, las ich ihr die letzten Seiten aus »On the Road« vor. »Gut gebrüllt, Löwe!« sagte sie und murmelte - sie mußte immer das letzte Wort haben: »Ihn
    mit achtunddreißig noch einmal zu lesen ist das Grausamste, was man Kerouac antun kann.« Als sie ging, öffnete sie ihre Wundertüte, so jedenfalls nannte sie ihre Handtasche. »Hier ist was anderes zu lesen.« Es war »Candide«. »Ich ruf dich nächsten Samstag an und frag dich darüber aus!«
    Am spannendsten war es, wenn Eva intim wurde und mir Geheimnisse aus ihrem Liebesieben anvertraute, während sie auf meinem Bett lag und sich die Platten anhörte, die ich ihr Vorspielen wollte. Ihr Mann würde sie schlagen, erzählte sie. Sie würden nie miteinander schlafen. Aber sie wolle Sex, es sei das hinreißendste
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