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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt
Autoren: Hanif Kureishi
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werden, so wie jetzt.
    »Allie, geh ins Bett!« herrschte sie meinen Bruder an, als der seinen Kopf durch die Tür steckte. Er trug ein Haarnetz, damit seine Frisur im Bett nicht durcheinandergeriet. Zu Dad sagte sie: »Himmel, Haroon, bei dir hängt ja vorne alles raus, und Gott und die Welt können es sehen!« Sie drehte sich zu mir um. »Und du unterstützt ihn auch noch. Zieh wenigstens die Vorhänge zu!«
    »Brauchen wir nicht, Mum. Auf hundert Yards steht hier kein Haus, von dem aus man uns sehen könnte - es sei denn, man beobachtet uns mit einem Fernglas.«
    »Und genau das tun sie«, sagte sie.
    Ich schloß die Vorhänge vor dem Fenster zum Garten. Das Zimmer schien im gleichen Augenblick zu schrumpfen. Die Spannung stieg. Ich konnte es kaum noch abwarten, aus dem Haus zu verschwinden. Ich wollte immer woanders sein, ich weiß nicht, warum.
    Als Dad sprach, klang seine Stimme gequetscht und dünn. »Karim, lies mir aus dem Yoga-Buch vor! Laut und deutlich.«
    Ich suchte unter den Büchern über Buddhismus, Sufismus, Konfuzianismus und Zen, die er sich im Orientalischen Buchladen in der Cecil Court, einer Seitenstraße der Charing Cross Road, gekauft hatte, nach Dads Lieblingsbuch über Yoga: »Yoga für Frauen«, ein Buch mit Bildern von knackigen Frauen in schwarzen Trikots. Mit dem Buch in der Hand hockte ich mich neben ihn. Er atmete ein, hielt den Atem an, atmete aus und hielt wieder den Atem an. Ich war kein schlechter Vorleser und sah mich auf der Bühne des Old Vic stehen und mit grandioser Stimme deklamieren: »Salamba Sirsasana belebt und bewahrt ein jugendliches Gemüt, ein Gewinn, den man nicht unterschätzen darf. Es ist wundervoll, zu wissen, daß man sich den Widrigkeiten des Lebens stellen und ihm zudem all die wahren Freuden abgewinnen kann, die es einem zu bieten hat.« Bei jedem Satz grunzte Dad seine Zustimmung, öffnete die Augen und blickte suchend nach meiner Mutter, die ihre Lider geschlossen hielt.
    Ich las weiter: »Außerdem verhindert diese Stellung Haarausfall und baldiges Ergrauen.«
    Das war der Clou: keine grauen Haare. Zufrieden stand Dad auf und zog sich wieder an.
    »Jetzt fühl ich mich besser. Ich spüre, daß ich alt werde, weißt du.« Mit sanfterer Stimme: »Übrigens, Margaret, kommst du heute abend mit zu Mrs Kay?« Mum schüttelte den Kopf. »Komm schon, Liebling! Laß uns zusammen ausgehen und ein bißchen Spaß haben, he?«
    »Aber Eva will mich doch gar nicht sehen«, sagte sie. »Für die bin ich Luft. Merkst du das denn nicht? Sie behandelt mich wie ein Stück Dreck, Haroon. Ich bin ihr nicht indisch genug. Ich bin bloß eine Engländerin.«
    »Ich weiß, daß du nur eine Engländerin bist, aber du könntest ja einen Sari tragen.« Er lachte. Es machte ihm Spaß, jemanden auf den Arm zu nehmen, aber Mum war ein denkbar ungeeignetes Opfer für seine Neckereien, sie begriff nicht, daß man zu lachen hatte, wenn man lächerlich gemacht wird.
    »Außerdem«, sagte Dad, »gibt es heute abend einen besonderen Anlaß.«
    Das war es also, worauf er die ganze Zeit hingearbeitet hatte. Jetzt wartete er darauf, daß wir ihn fragten.
    »Was ist es, Dad?«
    »Wißt ihr, sie haben mich freundlicherweise gebeten, einen Vortrag über diesen oder jenen Aspekt der orientalischen Philosophie zu halten.«
    Dad sprach rasch und versuchte, seinen Stolz über diese Ehre, diesen Beweis seiner Wichtigkeit, zu verbergen, indem er eifrig sein Unterhemd in die Hosentasche stopfte. Das war meine Chance.
    »Wenn du willst, könnte ich mit zu Eva kommen. Ich wollte eigentlich in den Schachklub, aber wenn du meinst, dann laß ich ihn eben ausfallen.«
    Weil ich mein Vorhaben nicht durch Eilfertigkeit gefährden wollte, sagte ich dies in einem Ton, der so unschuldig klang wie der eines Vikars. Ich hatte längst festgestellt, daß andere dazu neigen, das Interesse zu verlieren, wenn man selbst zu eifrig ist. Zeigt man sich aber nicht sonderlich interessiert, neigen die anderen dazu, um so eifriger zu sein. Je interessierter ich also tatsächlich war, desto uninteressierter gab ich mich.
    Dad zog sein Hemd wieder hoch und schlug sich rasch hintereinander mit beiden Händen auf den nackten Bauch. Es waren laute und widerliche Geräusche, die wie Pistolenschüsse durch unser Haus hallten.
    »In Ordnung, Karim« sagte Dad. »Zieh dich um!« Er wandte sich an Mum. Er hätte sie gern dabeigehabt, damit sie sehen konnte, wie sehr er geachtet wurde. »Komm doch mit, Margaret!«
    Ich stürmte nach oben,
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