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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt
Autoren: Hanif Kureishi
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Gefühl, das man haben könne. Sie benutzte das Wort »ficken«. Sie wolle leben, sagte sie. Ich fand sie beängstigend; ich fand sie aufregend; irgendwie hatte sie, seit dem Moment, als sie zum ersten Mal bei uns durch die Tür kam, den gesamten Haushalt durcheinandergebracht.
    Was hatte sie jetzt mit Dad vor? Was geschah in ihrem Wohnzimmer?
    Eva hatte die Möbel zurückgeschoben. Die Sessel mit gemusterten Bezügen und die Glastische standen vor dem Bücherregal aus Kiefernholz. Die Vorhänge waren zugezogen. Vier Männer und vier Frauen mittleren Alters, alles Weiße, saßen im Schneidersitz auf dem Boden, aßen Erdnüsse und tranken Wein. Etwas abseits, mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, saß ein Mann unbestimmten Alters - er konnte ebenso fünfundzwanzig wie fünfundvierzig sein - in einem fadenscheinigen, schwarzen Kordanzug und altmodischen, schweren, schwarzen Schuhen. Die Hosenbeine hatte er in die Socken gestopft. Sein blondes Haar war fettig; seine Taschen von zerfledderten Taschenbüchern ausgebeult. Er schien niemanden zu kennen, und falls er doch jemanden kannte, dann wollte er nicht mit ihm reden. Wie er dort saß und rauchte, machte er einen interessierten Eindruck, interessiert auf eine neutrale, wissenschaftliche Art. Er wirkte äußerst angespannt und nervös.
    Die Leute stimmten eine Art Singsang an, der mich an eine Beerdigung erinnerte.
    Charlie murmelte: »Ist Bach nicht einfach göttlich?«
    »Nicht gerade mein Fall.«
    »Wie du meinst, aber ich schätze, oben habe ich was für dich, das eher dein Fall sein dürfte.«
    »Wo ist dein Dad?«
    »Er hat einen Nervenzusammenbruch.«
    »Heißt das, er ist nicht hier?«
    »Er ist in so eine Art Therapiezentrum gegangen, wo er alles aus sich rauslassen darf.«
    Bei uns zu Hause waren Nervenzusammenbrüche so exotisch wie New Orleans. Ich hatte keinen Schimmer, was das Wort eigentlich genau bedeutete, aber Charlies Dad schien mir durchaus zum nervösen Typus zu gehören. Das einzige Mal, das er in unser Haus kam, saß er allein in der Küche, weinte und reparierte dabei Dads Füllfederhalter; und im Wohnzimmer sagte Eva, sie müsse sich unbedingt ein Motorrad kaufen. Ich weiß noch, wie Mum dazu nur gähnte.
    Dad saß auf dem Boden. Man redete über Musik und über Bücher, es fielen die Namen Dvorak, Krischnamurti und Eclectic. Ich sah mir alle genauer an und vermutete, daß die Männer als Werbefachleute, Designer oder in ähnlich kreativen Berufen arbeiteten. Charlies Vater entwarf Anzeigenkampagnen. Nur auf den Mann im schwarzen Kord konnte ich mir keinen Reim machen. Aber wer diese Leute auch waren, sie gaben fürchterlich an - in diesem Zimmer wurde schlimmer angegeben als im gesamten restlichen Südengland zusammen.
    Daheim hätte Dad darüber nur gelacht. Aber jetzt, während er mittendrin saß, schien es, als verbringe er die beste Zeit seines Lebens. Er gab den Ton an, redete viel zu laut, fiel anderen ins Wort und berührte jeden, der gerade in seiner Nähe war. Langsam ließen sich die Männer und Frauen - Kordanzug ausgenommen - auf dem Boden in einem Kreis um ihn herum nieder. Warum bloß sparte er sich seine Verdrossenheit und sein unzufriedenes Gemurmel immer für uns zu Hause auf?
    Ich sah, wie der Mann neben mir sich zu seinem Nachbarn beugte und auf meinen Vater zeigte. Dad erklärte gerade voller Elan einer Frau, die nur mit einem langen Männerhemd und schwarzer Strumpfhose bekleidet war, wie wichtig es sei, einen freien, sorglosen Geist zu erlangen. Die Frau nickte meinem Vater aufmunternd zu. Laut flüsternd sagte der Mann zu seinem Freund: »Warum hat Eva uns diesen Scheiß-Inder angeschleppt? Ich dachte, wir wollen uns besaufen?«
    »Er soll uns seine mystischen Künste demonstrieren.« »Und hat er draußen sein Kamel geparkt?«
    »Nee, er kam auf einem fliegenden Teppich.«
    »Cyril Lord oder Debenhams?«
    Ich gab dem Mann einen heftigen Stoß in die Nieren. Er sah auf.
    Da sagte Charlie zu meiner Erleichterung: »Komm mit auf meine Bude, Karim!«
    Noch bevor wir uns absetzen konnten, löschte Eva jedoch das Deckenlicht. Über die Stahllampe drapierte sie einen großen, durchsichtigen Schal; das Zimmer war jetzt nur noch von einem rosafarbenen Glühen erleuchtet. Ihre Bewegungen hatten etwas Tänzerisches bekommen. Nach und nach verstummten alle. Eva lächelte sie an.
    »Warum entspannt ihr euch nicht?« fragte sie, und sie nickten. Die Frau mit dem Hemd sagte: »Warum eigentlich nicht?« - »Ja, genau«, stimmte ihr
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