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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt
Autoren: Hanif Kureishi
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um mich umzuziehen. In meinem Zimmer, dessen Wände von oben bis unten mit Zeitungsausschnitten dekoriert waren, konnte ich die beiden unten diskutieren hören. Würde er sie überreden können? Hoffentlich nicht. Ohne meine Mutter war mein Vater viel frivoler. Ich legte eine meiner Lieblingsplatten auf, Dylans »Positively Fourth Street«, um mich für den Abend in Stimmung zu bringen.
    Ich brauchte eine Ewigkeit. Dreimal wechselte ich mein gesamtes Outfit. Um sieben Uhr kam ich die Treppe in den Klamotten herunter, von denen ich wußte, daß sie für Evas Abend genau das richtige waren. Ich trug türkisfarbene Hosen mit weitem Schlag, ein durchsichtiges, mit blauen und weißen Blumen bedrucktes Hemd, blaue Wildlederstiefel mit abgeschrägten Hacken und eine armfreie, scharlachrote indische Jacke mit goldenen Saumstickereien. Ich hatte mir ein Stirnband übergestreift, um mein schulterlanges, krauses Haar zu bändigen. Mein Gesicht hatte ich in Old Spiee gebadet.
    Die Hände in den Hosentaschen, wartete Dad an der Tür auf mich. Er trug einen schwarzen Rollkragenpullover, eine schwarze Jacke aus Lederimitat und graue Kordhosen von Woolworth. Als er mich sah, schien er plötzlich unruhig zu werden.
    »Sag deiner Mum auf Wiedersehen!« verlangte er.
    Mum saß im Wohnzimmer, sah »Steptoe and Son« und biß einmal von einem Snickers ab, das sie dann wieder vor sich auf den Polsterhocker legte. Es war ihr Ritual: Nur einmal alle fünfzehn Minuten erlaubte sie sich einen Bissen. Deshalb sah sie auch ständig zwischen Uhr und Fernseher hin und her. Manchmal drehte sie durch und verschlang das ganze Ding in weniger als zwei Minuten. »Ich hab mir mein Snickers verdient«, sagte sie dann trotzig.
    Bei meinem Anblick wurde sie genauso nervös wie Dad. »Mach uns nicht lächerlich, Karim«, sagte sie, ohne den Blick noch einmal vom Fernseher zu wenden. »Du siehst aus wie Danny La Rue.«
    »Und was ist mit Tante Jean?« sagte ich. »Die hat sogar blaue Haare!«
    »Für ältere Damen schickt es sich, die Haare blau zu färben«, sagte Mum.
    Dad und ich verließen das Haus, so schnell wir konnten. Als wir am Ende der Straße auf den 227er Bus warteten, ging einer meiner Lehrer - er hatte nur noch ein Auge - an uns vorbei. »Nicht vergessen«, sagte Zyklop, »ein Universitätsabschluß ist zweitausend Pfund im Jahr wert, dein Leben lang!«
    »Keine Angst!«, erwiderte Dad. »Natürlich kommt der Junge auf die Universität. Er wird einer der führenden Ärzte Londons. Mein Vater war auch Doktor. Medizin liegt bei uns im Blut.«
    Es war nicht weit bis zu den Kays, vielleicht vier Meilen, aber ohne mich wäre Dad nie dort angekommen. Ich kannte alle Straßen und Busstrecken.
    Dad war seit 1950 in Großbritannien - seit über zwanzig Jahren, und fünfzehn davon hatte er in den südlichen Vororten Londons gelebt. Trotzdem stolperte er noch immer durch die Gegend wie ein Inder, der gerade vom Schiff kommt, und fragte Sachen wie: »Liegt Dover in Kent?« Dabei sollte man glauben, daß ein Angestellter, ein Beamter der britischen Regierung, selbst wenn er so schlecht bezahlt und unbedeutend war wie Dad, diese Dinge einfach wissen müßte. Ich schwitzte vor Verlegenheit, wenn er Fremde auf der Straße anhielt, um nach einer Straße zu fragen, die gerade hundert Yards entfernt lag und zudem in einer Gegend, in der er schon zwei Jahrzehnte lebte.
    Aber auf seine Naivität reagierten die Menschen fürsorglich, und Frauen fanden seine Unschuld hinreißend. Manchmal sah er so verloren und jungenhaft aus, daß sie am liebsten die Arme um ihn geschlungen hätten. Ganz unbeabsichtigt war das natürlich nicht, und Dad zog auch seinen Nutzen daraus. Als ich klein war und wir beide in Lyon’s Cornerhouse saßen und unsere Milchshakes tranken, schickte er mich wie eine Brieftaube zu Frauen an anderen Tischen und ließ mich aufsagen: »Mein Daddy würde Ihnen gerne einen Kuß geben.«
    Dad brachte mir bei, mit jedem zu flirten, sei es Mädchen oder Junge, und ich lernte, persönlichen Charme noch vor Höflichkeit, Ehrlichkeit oder gar Anstand für die erste gesellschaftliche Tugend zu halten. Ich lernte auch, selbst niederträchtige und gefühllose Menschen zu mögen, wenn sie nur interessant genug waren. Aber ich war mir immer sicher gewesen, daß Dad sein sanftes Charisma nie dazu benutzte, um mit jemand anderem als meiner Mum zu schlafen.
    Inzwischen hatte ich jedoch den Verdacht, daß Mrs Eva Kay - die meinen Dad ein Jahr zuvor bei einem
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