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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt
Autoren: Hanif Kureishi
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legte eine Platte der Pink Floyd auf, die »Ummagumma« hieß. Ich zwang mich, der Musik zuzuhören, während Charlie mir gegenübersaß, ein getrocknetes Blatt über den Tabak krümelte und einen Joint drehte.
    »Dein Vater. Der ist wirklich top. Ein echter Weiser. Macht ihr diese Meditationssache jeden Morgen?«
    Ich nickte. Ein Nicken ist schließlich keine Lüge, oder? »Und ihr singt auch?«
    »Nicht jeden Tag, nein.«
    Ich dachte daran, was morgens in unserem Haus ablief; an Dad, der in der Küche rumrannte und nach Olivenöl für sein Haar suchte; an meinen Bruder und mich, wie wir uns um den »Daily Mirror« stritten; an meine Mutter, die wieder einmal über ihre Arbeit im Schuhgeschäft jammerte. Charlie gab mir den Joint. Ich zog daran, reichte ihn zurück und schaffte es, mich dabei mit Asche zu bestreuen und ein kleines Loch in mein Hemd zu brennen. Ich war so erregt und verwirrt, daß ich sofort aufsprang.
    »Was ist los?«
    »Ich muß auf den Pott.«
    Ich hastete die Mansardenleiter hinunter. Im Badezimmer der Kays hingen gerahmte Plakate von Genet-Stücken. Ich blickte auf Bambusstangen und Pergamentrollen mit drallen, kopulierenden Orientalen. Neben dem Klo stand ein Bidet. Während ich so dasaß, die Hosen zwischen den Knien, und mir alles ansah, hatte ich eine höchst merkwürdige Vision. Zum ersten Mal konnte ich mein Leben klar vor mir ausgebreitet sehen: die Zukunft und was ich tun wollte. Ich wollte nur noch so intensiv wie jetzt leben: Mystik, Alkohol, sexuelle Abenteuer, kluge Menschen und Drogen. Alles zusammen hatte ich vorher noch nie erlebt, und jetzt wollte ich nichts mehr davon missen. Die Tür zur Zukunft hatte sich aufgetan: Ich konnte sehen, welchen Weg ich gehen würde.
    Und Charlie? Meine Gefühle für ihn waren keine gewöhnliche Liebe, zumindest nicht, was man unter Liebe nun einmal versteht: Ihr fehlte die Großmut. Ich bewunderte ihn mehr als jeden anderen Menschen, wünschte ihm aber nichts Gutes. Ich fand ihn schlichtweg besser als mich und wollte so sein wie er, wollte sein Talent, sein Gesicht, seinen Stil. Ich wünschte mir, ich würde aufwachen, und all das würde mir gehören.
    Ich stand im Treppenhaus. Bis auf die leisen Töne von »A Saucerful of Secrets«, die vom Dachboden des Hauses herüberklangen, war es still. Jemand hatte Räucherstäbchen angezündet. Ich schlich die Treppe hinunter. Die Wöhnzimmertür stand offen. Vorsichtig spähte ich in den schwach erleuchteten Raum. Die Werbefritzen und ihre Frauen saßen aufrecht da, mit überkreuzten Beinen und steifem Rücken, die Augen geschlossen; sie atmeten regelmäßig und tief. Kordanzug saß in einem Sessel, drehte allen den Rücken zu, las und rauchte. Nur Eva und Dad waren nicht im Zimmer. Wo konnten sie sein?
    Ich ließ die hypnotisierten Buddhas allein, lief durch das Haus und in die Küche. Die Gartentür stand weit offen. Ich tauchte in die Dunkelheit. Es war ein warmer Abend, ein Vollmondabend.
    Ich kniete nieder. Ich wußte, daß dies genau das Richtige war - seit Dads Vorführung war ich in höchstem Maße intuitiv geworden. Ich kroch über den Rasen. Sie mußten hier vor kurzem ein Barbecue veranstaltet haben, denn rasiermesserscharfe Kohlestückchen schnitten mir die Knie auf. Trotzdem überquerte ich die Rasenfläche ohne ernsthafte Verletzungen. Am Rand sah ich undeutlich eine Gartenbank. Als ich noch näher herankroch, erkannte ich im Mondlicht Eva. Sie zog gerade ihren Kaftan über den Kopf. Wenn ich genau hinsah, konnte ich sogar ihre Brust erkennen. Und ich sah genau hin; ich sah so genau hin, daß mir beinahe die Augen aus dem Kopf fielen. Dann wußte ich, daß ich mich nicht getäuscht haben konnte: Eva hatte nur noch eine Brust. Soviel ich erkennen konnte, war dort, wo man eigentlich die andere Brust erwartete, tatsächlich nichts zu sehen.
    Unter den Massen von Fleisch und Haaren war, beinahe völlig unsichtbar, mein Vater. Ich war mir sicher, daß es sich um Daddio handelte, weil er fast ohne jede Rücksicht auf die Nachbarn über die Gärten Beckenhams hinwegröhrte: »O mein Gott, o Gott, o Gott!« War ich etwa so empfangen worden ; fragte ich mich, in vorstädtischer Nachtluft, beim Geheul eines christlichen Fluches aus dem Munde eines abtrünnigen Moslems, der sich als Buddhist verkleidet hatte?
    Mit einem schallenden Klaps schloß Eva meinem Vater den Mund. Das war eine Spur zu gebieterisch, dachte ich, und war nahe daran, aufzuspringen und zu protestieren. Aber, verdammt noch mal, wie
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