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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt
Autoren: Hanif Kureishi
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Problemen rassischer Art aus dem Weg zu gehen. Er zog sich immer so früh wie möglich
    ins Bett zurück und nahm sich Modemagazine mit, zum Beispiel »Vogue«, »Harpers and Queen« oder was er sonst noch an europäischen Heften in die Finger bekam. Zum Schlafen trug er winzige rote Seidenhosen, eine Hausjacke, die er sich mal auf einem Flohmarkt gekauft hatte, und sein Haarnetz. »Warum soll ich nicht gut aussehen?« fragte er und ging nach oben. Abends verdrückte ich mich oft in den Park, um in dem nach Pisse stinkenden Schuppen zu sitzen und mit den anderen Jungens, die auch von zu Hause abgehauen waren, eine zu rauchen.
    Dad hatte genaue Vorstellungen von der Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau. Meine Eltern gingen beide arbeiten: Mum hatte eine Stelle in einem Schuhgeschäft an der High Street, damit Allie auf eine teure Privatschule gehen konnte, denn er hatte beschlossen, Ballettänzer zu werden. Aber Mum erledigte auch alle Hausarbeit und das Kochen. In der Mittagspause ging sie einkaufen, und abends machte sie das Essen. Danach sah sie bis halb elf fern. Der Fernseher war das einzige, worüber sie absolute Autorität besaß. Es galt als unausgesprochene Regel in unserem Haus, daß sie sich ansah, was ihr gefiel; wollte jemand von uns etwas anderes sehen, hatte er keine Chance. Mit der letzten Energie, die ihr der Tag noch gelassen hatte, raffte sie sich dann zu einem solchen Anfall von Wut, Selbstmitleid und Enttäuschung auf, daß niemand mehr wagte, ihr zu widersprechen. Auf »Steptoe and Son«, »Candid Camera« und »The Fugitive« war sie wie verrückt.
    Wenn es im Fernsehen Wiederholungen oder politische Sendungen gab, zeichnete sie. Ihre Hand flog nur so übers Papier. Sie war auf einer Kunstschule gewesen. Im Lauf der Jahre hatte sie uns immer wieder gezeichnet, unsere drei Köpfe auf einem Blatt. Drei egoistische Männer nannte sie uns. Sie sagte, sie habe Männer noch nie gemocht, weil Männer Folterer seien. Das Gas in Auschwitz sei nicht von Frauen aufgedreht worden, behauptete sie, und die Bomben über Vietnam hätten sie auch nicht abgeworfen. In den Tagen, an denen Dad stumm blieb, zeichnete sie viel. Sie steckte den Zeichenblock griffbereit zu ihrem Strickzeug, dem Kriegstagebuch ihrer Kindheit (»Heute nacht Luftangriff«) und ihren Catherine-Cookson-Romanen hinter den Sessel. Ich hatte oft und nachdrücklich versucht, sie zum Lesen vernünftiger Bücher wie »Tender is the Night« oder »The Dharma Bums« zu überreden, aber sie behauptete jedesmal, die seien ihr zu klein gedruckt.
    Eines Nachmittags, wenige Tage nach Beginn von Dads großer Schmollerei, bestrich ich mir eine Scheibe Brot mit Erdnußbutter, legte »Live at Leeds« von den Who unter die Nadel - volle Lautstärke, um Townshends Fetzakkorde in »Summertime Blues« besser genießen zu können - und schlug Mums Zeichenblock auf. Ich wußte, ich würde etwas finden. Ich blätterte, bis ich eine Zeichnung von meinem nackten Vater fand.
    Neben ihm stand Eva, etwas größer, ebenfalls nackt, inklusive ihrer einen großen Brust. Wie verängstigte Kinder hielten sie sich an der Hand und sahen mich an, ungeschminkt und ohne alle Eitelkeit, als wollten sie sagen: Mehr hat es mit uns nicht auf sich, dies sind unsere Körper. Sie sahen aus wie John Lennon und Yoko Ono. Wie konnte Mum nur so unbeteiligt sein? Woher wußte sie überhaupt, daß sie miteinander gevögelt hatten?
    Vor mir war kein Geheimnis sicher. Ich beschränkte meine Nachforschungen nicht nur auf Mum. So erfuhr ich auch, daß Dad zwar seinen Mund nicht aufmachte, seine Augen aber fleißig arbeiten ließ. Ich stöberte heimlich in seiner Aktentasche und zog Bücher von Lu Po, Laotse und Christmas Humphreys heraus.
    Es war mir klar, daß das Interessanteste, was in diesem Haus passieren konnte, eintreten würde, sobald Dad einen Anruf bekam und sein Schweigen auf die Probe gestellt wurde. Also sah ich zu, daß ich als erster am Apparat war, als es eines Abends um halb elf klingelte. Ich erkannte Evas Stimme und wußte plötzlich, wie sehr ich darauf gewartet hatte, ihre Stimme wiederzuhören.
    Sie sagte: »Hallo, mein süßer, unartiger Junge! Wo ist dein Dad? Warum hast du mich nicht angerufen? Was liest du gerade?«
    »Was schlägst du vor, Eva?«
    »Du kommst besser vorbei und besuchst mich, dann füll ich dir den Kopf mit rosaroten Ideen.«
    »Wann kann ich kommen?«
    »Frag nicht - komm einfach!«
    Ich holte Dad, der gerade ganz zufällig in seinem Pyjama hinter der
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