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Der Brennende Salamander

Der Brennende Salamander

Titel: Der Brennende Salamander
Autoren: Ingeborg Bayer
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verhinderte doch oft irgendeine Widrigkeit, daß das Kind diese zwei Jahre bei der gleichen Amme bleiben konnte: Die Frau konnte fortziehen, sich neu verheiraten, in Armut geraten, erkranken, sterben. In diesem Fall wurden die Kinder an eine andere gerade verfügbare Amme weitergereicht und dies auch manchmal ohne Benachrichtigung der Eltern; eine Botschaft brauchte Zeit, und Boten kosteten Geld.
    Was Brigida anbetraf, so war sie nach dem Tod ihrer ersten Amme zu meiner Amme gegeben worden, die neben der Verstorbenen wohnte, und da die Eltern Orelli sich zu jener Zeit gerade auf einer langen Reise befanden, erfuhren sie von dem Wechsel erst nach ihrer Rückkehr. Nachdem meine Amme neben zwei innocenti  – Rocco und mir – noch fünf eigene Kinder zu versorgen hatte, wuchsen Brigida und ich wie Geschwister auf, wobei ich zur ›Kindsmagd‹ der Jüngeren ernannt wurde, da sie mich am meisten liebte. Als die Eltern von ihrer Reise zurückkehrten, waren sie von der neuen Situation nicht eben angetan, zumal sich bei ihrer Ankunft in unserem Dorf die Pflege ihrer Tochter nicht gerade im günstigsten Licht darstellte: Unsere Amme hatte gerade ihren großen Waschtag, und so waren wir Kinder uns selbst überlassen. Rocco hatte eines seiner stets lustigen Spiele angeordnet: Wir sollten alle Schweine sein und er der Schweinehirt, der uns zu füttern hatte. Brigidas Eltern entdeckten also ihre zweijährige Tochter in wenig sauberen Gewändern im Schweinestall, mit den Händen voller Gier im Schweinetrog wühlend und sich dabei die Reste des Fressens in den Mund schiebend, obwohl das Spiel keinesfalls so wirklichkeitsnah hätte sein brauchen.
    Der Abschied war dann mehr als dramatisch. Da Brigida ihre Eltern während dieser beiden Jahre kaum gesehen hatte, verspürte sie auch keinerlei Lust, mit diesem fremden Mann und seiner fremden Frau in einer Kutsche wegzufahren. Und sie tat dies mit lautem Weinen kund. Als sie der Kutscher dann – es war klar, daß die Eltern ihre Tochter in dieser Situation nicht berühren wollten – aus meinen Armen riß, ging das Weinen in ein ohrenbetäubendes Gebrüll über, und Brigida umklammerte mich wie ein Äffchen mit Händen und Füßen. Als dies alles nichts nutzte, biß sie den Kutscher in die Hand, so daß der nun auch brüllte. Das zweifache Gebrüll verfolgte mich nächtelang, und da es verständlicherweise keinerlei Nachricht mehr von Brigida gab, bedrückte meine Trauer die ganze Familie. So lange, bis Rocco mich zu trösten versuchte und sagte, daß Brigida später gewiß meine Braut würde, da sie mich ja bereits als Kind geliebt habe, und ich mich im übrigen nun wieder voll und ganz dem Füttern meiner Seidenraupen mit Maulbeerblättern widmen könne. Was ich in Ermangelung anderer Menschen,die ich hätte lieben können, auch glaubte.
    Als ich Brigida Jahre später zum erstenmal wiedersah, war sie neun und wollte gerade eines der vier Pferde des Neptunbrunnens auf der Piazza della Signoria heiraten. Ein Wunsch, der mein ohnehin recht schwach ausgeprägtes Selbstwertgefühl nicht eben stärkte, da es sich um das zweite Pferd von rechts handelte, ein wildes ungebärdiges Tier, und nicht das zweite von links, das aussieht, als komme es soeben vom Kindersonntagsgottesdienst und falte die Vorderhufe zum Beten.
    Der Nebel hat sich inzwischen gelichtet. Er wirkt nicht mehr wie ein dickes, undurchdringliches Wattepolster, sondern er läßt wieder spärliches Licht auf die Bäume fallen, von denen es auf dieser Anhöhe eine Menge gibt. Es sind Maulbeerbäume, sie sind das Gold der Familie Orelli. Und Mona Orelli hat dafür gesorgt, daß sie überall sind. Da, wo es früher einmal einen wunderbaren Park gegeben haben soll, wachsen sie inzwischen ebenso wie rings um die Villa, und selbst das Rosarium vor der Auffahrt des Hauses mußte der Geldgier dieser Frau weichen.
    Ich sehe vom Fenster des Wohnraums Teile des Dorfs nun etwas deutlicher als am Abend zuvor. Ich sehe eine Turmspitze im Gras liegen, die zum Kirchturm gehört haben dürfte. Ich seheden Teil eines Rades, eines vermutlich gewaltigen Rades, aber ich kann dieses Fragment nicht zuordnen. Ich sehe auch, daß die einzige Brücke über den Fluß, der durch das Dorf fließt, geborsten ist. Ich sehe, daß die Pfirsichplantage, die sich am Hang entlangzog, verwüstet ist, verwüstet wie die neugepflanzten Olivenbäume, von denen mir Rocco, der hier schon öfter gearbeitet hat, berichtete. Das Dach der colombaia , die einst Brigidas
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