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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter
Autoren: Hans G. Stelling
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antwortete Hinrik.
    Das Gras raschelte, und hin und wieder knackte ein trockener Zweig unter ihren Füßen. Irgendwo rief ein Kuckuck, und ein Fuchs schnürte ganz in der Nähe vorbei, ohne sie zu beachten. Plötzlich schrie Greetje auf, wandte sich Hinrik zu, schlang die Arme um ihn und drückten ihren Kopf schluchzend an seine Brust. Über sie hinweg konnte er die Brücke sehen, die zur Festung führte. Zwei Schädel waren zu den skelettierten Köpfen hinzugekommen, die von den Freibeutern auf das Geländer genagelt worden waren. Es waren die Köpfe von Matten Reeper und Chrischan Torpf, jenen beiden Männern, die auf dem Grasbrook hinter Hinrik gestanden hatten und ebenso wie er mit dem Leben davongekommen waren. Jemand hatte auf grausige Weise nachgeholt, was der Henker Thore Hansen nicht mehr hatte bewerkstelligen können. Auf dem Schädel Mattens hatte sich ein Rabe niedergelassen und hackte ihm die Augen aus.
    Hinrik konnte sich denken, wer diese Männer getötet hatte.
    »Wir haben keine andere Wahl«, stellte er fest. »Wir |544| müssen zur Festung gehen und uns Waffen besorgen. Mit bloßen Händen können wir nicht gegen Wilham von Cronen kämpfen. Du bleibst am besten hier, Greetje.«
    »Ich weiche für keinen einzigen Atemzug von deiner Seite«, weigerte sie sich. »Ich lasse dich nicht allein. Auf keinen Fall.«
    Heiner Wolfen zuckte mit den Achseln. Er ging zügig voraus, sah immer wieder prüfend in alle Richtungen, um nicht aus dem Hinterhalt überrascht zu werden.
    »Wir begraben Matten und Chrischan«, beschloss Hinrik.
    »Das hat Zeit bis später«, widersprach Heiner Wolfen. »Spielt keine Rolle mehr für die beiden. Sie sind tot.«
    So viele Worte auf einmal hatte er noch nie von sich gegeben, seit Hinrik ihn kannte. Es war ein Zeichen dafür, wie nahe ihm das Ende der beiden Freunde ging und wie angespannt er war. Die Gefahr, in der sie schwebten, war beinahe körperlich fühlbar.
    Als sie die Brücke erreichten, hob der Rabe ab und zog mit hastigem Flügelschlag davon. Hinrik sah, dass die beiden Leichen im Graben schwammen. Ebenso wie die anderen blickte er an den Köpfen vorbei. Er wusste, dass sie nicht nur als Warnung und zur Einschüchterung auf das Geländer geschlagen worden waren, sondern auch, um sie abzulenken. Wilham von Cronen wartete auf sie. Am eigenen Leib hatte Hinrik spüren müssen, dass der Richter ein ernst zu nehmender Gegner und harter Kämpfer war.
    Schließlich erreichten sie die Brücke. Innerlich bis zum Äußersten angespannt und auf einen plötzlichen Angriff gefasst, drückte Hinrik das Tor auf. Es knarrte in seinen Scharnieren, die lange nicht mehr gefettet worden waren. Ihm kam dieses Quietschen und Ächzen wie ein Alarmsignal vor, das weithin zu hören war.
    |545| Niemand war zu sehen. Die vielen Gerätschaften, die hier von den Likedeelern gelagert wurden, waren alle noch vorhanden. Nichts schien sich verändert zu haben seit seinem letzten Aufenthalt in dieser Festung.
    Um sich verteidigen zu können, nahm Hinrik ein Beil, das direkt am Tor lag. Heiner griff nach einem Enterhaken, der an der Spitze einer etwa fünf Fuß langen Stange befestigt war. Greetje wählte eine Forke mit drei Zinken, wie sie zum Umwälzen von Heu benutzt wurde. Hinrik ließ sie gewähren, obwohl er daran zweifelte, dass sie sich damit wehren konnte. Er verstand sie. Ihr ging es allein um das Gefühl von Sicherheit. Ohne irgendetwas in der Hand kam sie sich vollkommen hilflos vor.
    Heiner Wolfen ging voraus bis in die Küche. Als sie sahen, dass der Fußboden unbeschädigt war, musterten sie sich kurz. Die eiserne Reserve hatte Wilham von Cronen nicht gefunden.
    »Vielleicht warten sie irgendwo auf uns, bis wir den Schatz für sie ausgraben«, überlegte Hinrik. »Das ist einfacher, als die ganze Festung zu durchwühlen. Sie können nicht einmal sicher sein, dass der Schatz in der Festung versteckt ist.
    »Sie?«, fragte Heiner Wolfen.
    »Ja – sie. Ich bin sicher, dass Wilham von Cronen nicht allein ist. So etwas macht ein Mann wie er nicht. Das Risiko wäre ihm zu hoch.«
    Während Greetje sich erschöpft auf einen Hocker setzte, verließen die beiden Männer die Küche und traten auf den Hof hinaus. Eine Möwe schwebte mit schrillem Schrei über sie hinweg. Sonst war alles still. Nichts deutete darauf hin, dass es irgendwo jemanden gab, der ihnen auflauerte. Sie überquerten den Hof und gingen zur Brücke.
    Als sie durch das Tor auf die Brücke hinaustraten, brachen plötzlich zwei
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