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Der Blaumilchkanal

Titel: Der Blaumilchkanal
Autoren: Ephraim Kishon
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Mundes den Sekretär von allen Seiten.
    »Was gibt’s da schon zu verstehen?« fragte Zev ärgerlich. »Amitz Dulnikker will sich in Ihrem Dorf ausruhen.«
    »Ausruhen?« fragte der Wirt verblüfft. »Wenn man sich ausruhen will, geht man ins Bett, aber nicht nach Kimmelquell.«
    »Das geht Sie nichts an. Ich brauche ein Zimmer sowie ein zweites für Amitz Dulnikker.«
    »Der Teufel soll ihn holen!« explodierte der Schankwirt. »Wer ist das?«
    »Meine Herren!« Der Sekretär wand sich. »Herr Dulnikker ist stellvertretender Generaldirektor des Ministeriums für Entwicklung .«
    »Was für ein Direktor?«
    »Stellvertretender General . direktor .«
    »So einen Direktor kennen wir nicht«, informierte ihn der Wirt. »Wir kennen nur den Herrn Schultheiß, den Direktor der Tnuva. Und der ist ein so großer Herr, daß es im ganzen Land keinen größeren gibt, außer vielleicht den Mann von der Wassergesellschaft, der uns das Wasser gebracht hat. Aber der«, fügte er ehrfurchtsvoll hinzu, »war auch ein Ingenieur!«
    Der Sekretär stolperte zu dem Staatsmann hinaus, der auf den Koffern saß. »Na«, fragte Dulnikker eifrig, »haben sie noch nicht erraten, wer ich bin?«
    »Nein. Nichts haben sie erraten.«
    Beide saßen in der >Dorfrunde<, wie die Dorfbewohner ihre Zusammenkünfte am Samstagabend im Wirtshaus nannten. Die Tische waren aneinandergestellt und mit blütenweißen Tischtüchern bedeckt. Gläser, Weinflaschen und Sträuße roter Nelken - die in den winzigen Gärten blühten - waren schön ordentlich langhin aufgestellt. Nachher - so informierte der Wirt seine geheimnisvollen Gäste - blieben die Dörfler bis zum Morgengrauen beisammen und sangen zur Begleitung der Leier des Vaters vom Schuhflicker melancholische Lieder, wie das die Bauern in Rosinesco, ihrer alten Heimat, getan hatten.
    Dulnikker und Sekretär waren von ihrem verzweifelten Kampf mit dem Wirt und seiner Ehefrau vollkommen erschöpft. Elifas Hermanowitsch konnte nämlich einfach nicht verstehen, warum ausgerechnet er sie mit zwei Zimmern versorgen sollte. Erst nach einer halben Stunde Verhandlungen, Flehen und verhüllten Drohungen willigte er ein, ihnen ein einziges Zimmer neben seinem eigenen Schlafzimmer im zweiten Stock zur Verfügung zu stellen. Dulnikker bedeutete jedoch seinem Sekretär sofort mit einem kräftigen Wink der Hand, daß er aus offenkundigen Gründen nicht gewillt war, ein Zimmer mit ihm zu teilen, woraufhin der Sekretär Maßnahmen zur Unterbringung in dem großen Haus des Dorfschusters gegenüber dem Wirtshaus traf.
    Dulnikkers Zimmer enthielt zwei wacklige Schränke, zwei eiserne Bettgestelle mit rostigen Federn und einen Küchenschemel. Malka hatte Dulnikkers Habe bei dem zweifelhaften Licht einer zerbrochenen Kerosinlampe aus den
    Koffern in einen der Schränke geräumt. Der Staatsmann selbst war schweigend auf dem engen Balkon gestanden und hatte sich hinter dem Standessymbol der Sonnenbrille die Augen angestrengt, um den großen gepflegten Garten zu seinen Füßen zu betrachten. Die Zwillinge waren heimlich auf den Balkon zu ihm hinausgeschlichen und hatten ihn weiter von Kopf bis Fuß gemessen. Einer von ihnen - wer konnte schon sagen, welcher - hatte an den Jackenschößen des Staatsmannes gezupft und gefragt:
    »Onkel, bist du blind?«
    »Nein«, erwiderte Dulnikker. Damit war das Gespräch beendet.
    Jetzt, in der Dorfrunde, saßen auch die Dörfler unnatürlich stumm da. Sie aßen und tranken mit der Hingabe arbeitender Menschen, welche die Wichtigkeit der Nahrung im göttlichen Schöpfungsplan zu schätzen wissen. Außer dem Kratzen der Messer war im Speisesaal kein Laut zu hören - mit einer weiteren Ausnahme: dem eintönigen, ärgerlichen Schmatzen, das Amitz Dulnikkers gierige und genüßliche Vernichtung von Kalbfleisch mit Essigfrüchten begleitete. Der Sekretär sah sich hie und da in wachsender Besorgnis um, trotz seines Gefühls, daß es eine hoffnungslose Lage sei. Das war etwas, dessen sich die gesamte Parteihierarchie durchaus bewußt war: Wenn Amitz Dulnikker aß, klang es wie eine zerbrochene Wassermühle. Bei diplomatischen Empfängen und anderen großen Anlässen vermochte der Sekretär gewöhnlich für Deckung zu sorgen: Während Dulnikker entweder aß oder in den Zähnen stocherte, pflegte die Kapelle - auf Anordnung des Sekretärs - lebhafte Musik zu spielen. Hier allerdings konnte Zev nur hoffen, daß sich die Tischgenossen als geduldig erweisen würden. Und tatsächlich machten sie keine
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