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Der blaue Vogel kehrt zurück

Der blaue Vogel kehrt zurück

Titel: Der blaue Vogel kehrt zurück
Autoren: Arjan Visser
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Inneren sah es aus wie in einem Wohnzimmer mit Sesseln, Stehlampen und allem Drum und Dran.
    Conway rettete erst neunzig Ausländer aus einem umkämpften Ort im bürgerkriegsgeschüttelten China, danach flog er zusammen mit seinem Bruder George und einigen anderen nach Shanghai, das nahmen sie jedenfalls an. George freute sich auf die kommende Zeit, weil sein Bruder der neue englische Außenminister werden sollte. Conway aber war müde und enttäuscht; er wollte nichts mehr mit den Feindseligkeiten in der Welt zu tun haben. Der Film spielt im Jahr 1935. Ich kann mich noch gut an die düstere Stimmung erinnern; davon war auch die Atmosphäre außerhalb des Kinos bestimmt. Es muss Herbst 1937 gewesen sein.
    Nach einer Weile bemerkte einer der Passagiere, dass das Flugzeug nicht nach Westen, sondern nach Osten flog. Als sie den Piloten zur Rede stellen wollten, fanden sie im Cockpit einen grimmig aussehenden Asiaten vor, der die Maschine in seine Gewalt gebracht hatte. Sie schrien, dass sie entführt worden seien, verlangten von Conway, etwas zu unternehmen, doch der zuckte nur die Achseln, trank seinen Whisky und empfahl allen, Ruhe zu bewahren und sich schlafen zu legen.
    Wie er da so saß, beschwipst, mit Borsalino und aufgestelltem Kragen, konnte er nicht ahnen, dass er bald das Oberhaupt von Shangri-La sein sollte, dem verlorenen Paradies irgendwo in einem verborgenen Tal im Himalaja.
    Bald darauf verlor das Flugzeug an Höhe. Es flog dicht über die Gipfel, streifte eine Bergwand und stürzte ab. Der Pilot kam bei dem Unglück um, die Passagiere überlebten.
    Wie aus dem Nichts tauchte eine Gruppe dick eingemummelter Asiaten auf. Ihr Anführer, der sich gleich an Conway wandte, hieß ihn wie einen lang erwarteten Freund willkommen. Sie vertrauten einander. Das sah ich. Ich war dabei.
    Ich folgte der Gruppe auf ihrer langen Wanderung über die verschneiten Bergkämme. Zusammen mit ihnen erreichte ich die Ansiedlung, sah, wie Conway Sondra kennenlernte, das Mädchen, das natürlich später seine Frau werden sollte.
    Und ich hörte, wie Chang, ein Priester aus einem Lamakloster, erklärte, dass man in Shangri-La zwar mehreren Glaubensrichtungen anhänge, das Allerwichtigste jedoch die Mäßigung sei.
    »Wir predigen die Tugend, jedes Übermaß zu vermeiden«, sagte Chang, »sogar das Übermaß der Tugend selbst.«
    Eine Gesellschaft ohne Schuld und Sühne, mit plätschernden Bächen, lachenden Kindern und schönen Frauen. Ich konnte verstehen, warum Conway in Shangri-La bleiben wollte.
    Als ich aus dem Kino kam, hatte ich das Gefühl, in meinem Leben ein Stück weitergekommen zu sein – damals sagte ich bestimmt: weiser geworden zu sein – und ich sah oder bildete mir jedenfalls ein, dass es den anderen Zuschauern genauso ergangen war.

6
    Das Land sieht gepflegt aus. Die Ortschaften – ich erkenne keine einzige – sind alle klar umrissen und kreuz und quer miteinander verbunden. Es wirkt, als habe der Pilot vor, das Flugzeug auf einer dieser Straßen zu landen – ich erkenne Menschen in ihren Autos. So ähnlich konnte ich in Belo Horizonte von meinem Viertel am Rand des alten Flughafens aus den Menschen bei der Abreise zusehen. Dort empfand ich sie als meine Landsleute, hier sehe ich bloß Ausländer. Dabei bin ich weder hier Ausländer noch dort Landsmann.
    Der Pilot bedankt sich im Namen der Besatzung und wünscht uns einen angenehmen Aufenthalt in Amsterdam.
    Ich werde abgeholt – jetzt erst begreife ich, dass Vicky das organisiert hat, die Gute –, wieder von so einem Caddy, der mich erst zum Zoll, dann zur Gepäckausgabe bringt. Nach einer Weile kommen die Koffer. Ich sehe ihnen hinterher, einem nach dem anderen, immer nur ein paar Meter, bis ich müde werde.
    Es liegt fast nichts mehr auf dem Band. Zwei Rucksäcke, eine Tasche und ein Koffer – meiner. Ich nehme ihn und ziehe ihn hinter mir her, an einigen Schiebetüren vorbei, durch die Flughafenhalle, zu den Taxis draußen. Der Fahrer des ersten Wagens in der Reihe öffnet den Kofferraum und nimmt mir wortlos das Gepäck ab.
    Schweigend lässt er mich vorn einsteigen.
    »Jacobson.«
    Er ignoriert meine ausgestreckte Hand. »Jüdischer Name, oder?«
    »Ja.«
    »Dacht ich’s mir doch.« Dann tritt er energisch aufs Gaspedal, und wir lassen den Flughafen hinter uns.
    Als ich auf einem Schild an der Autobahn »Rivierenbuurt« stehen sehe, wechseln wir ein paar Worte. Ich erzähle ihm, dass ich in De Pijp gewohnt habe. Er lebt in einer Mietwohnung im
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