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Der blaue Tod

Der blaue Tod

Titel: Der blaue Tod
Autoren: Boris Meyn
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konnte. Unter anderem kaufte und förderte Lichtwark seit 1886 neben den Norddeutschen Romantikern wie etwa Philipp Otto Runge (1777   –   1810) und Caspar David Friedrich (1774   –   1840) gezielt zeitgenössische Künstler wie Kalckreuth, Slevogt, Corinth, Illies und Liebermann. Mit welchem Unverständnis er bei seinen Bemühungen zu kämpfen hatte, mag das Entsetzen der Familie Petersenüber das bei Max Liebermann in Auftrag gegebene Porträt von Carl Friedrich Petersen (1809   –   1892) bezeugen. Liebermann hatte den Bürgermeister, der schwer erkrankt noch im gleichen Jahr verstarb, realistisch als greisen Mann dargestellt. Erst Jahre später durfte das Bildnis der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
    Mit großem Eifer war man bemüht, Unerwünschtes auszublenden. Sosehr es unter hanseatischen Kaufmannsfamilien auch üblich war, für karitative und mildtätige Zwecke zu spenden und Stiftungen ins Leben zu rufen – wenn Rufschädigung drohte, war die Unterdrückung eines nicht genehmen Kunstwerkes noch das Geringste: Welche heuchlerische Verlogenheit in weiten Kreisen bürgerlicher Schichten dabei wirksam wurde, bezeugt nichts mehr als die bis weit ins 20.   Jahrhundert hinein geübte Praxis, unwillkommenen Nachwuchs als Kostkinder bei so genannten Landammen fern der Stadt abzuschieben. Aus nahe liegenden Gründen gibt es bis heute kaum Quellen, die eine wissenschaftlich fundierte Aufarbeitung dieses traurigen Themas ermöglichen.
    Nachdem das Gebiet des Hammerbrook bereits wenige Jahre vor dem großen Hamburger Brand auf mysteriöse Art und Weise (siehe «Der Tote im Fleet») unter Bodenspekulanten aufgeteilt worden war, entstand vor allem in den Jahren 1881 bis 1890 dort eines der engsten Etagenhaus- und Terrassenquartiere der Stadt. Die immer stärkere Ausnutzung von Grund und Boden ließ die einzelnen Baukörper so in die Höhe wachsen, dass zumindest in die Hinterhöfe kaum mehr ein Lichtstrahl fiel. Vor allem der durch die Zollerweiterungsbauten (Speicherstadt) vertriebenen Bevölkerung des innerstädtischen Kehrwieder- und Wandrahmviertels bot das Quartier, das aufgrund seiner Wohnqualitäten unter derBevölkerung schnell den Namen
Jammerbrook
erhalten hatte, hafennahen und bezahlbaren Wohnraum. Der Feuersturm der Bombennächte 1943 hat dieses Viertel bis auf wenige Gewerbebauten vollständig zerstört.
    Höhere Wohnqualität für die unteren Bevölkerungsschichten versprachen die Falkenried-Terrassen zwischen Eppendorf und Hoheluft. Von 1890 bis 1903 wurden die dortigen Bauten für die Arbeiter des benachbarten Betriebsbahnhofs und der Wagenbauanstalten errichtet. Obwohl vornehmlich Kleinwohnungen, wurden die Zeilen der in Neorenaissanceformen dekorierten Hinterhofterrassen in großem Abstand zueinander erbaut. Heute ist dieses größte zusammenhängende Terrassenensemble der Stadt ein begehrtes Wohnquartier.
    Die damaligen Zustände in den Häusern am Borstelmannsweg in Hamm dagegen waren wahrscheinlich noch viel schlimmer als von mir geschildert. Nicht von ungefähr war der gesamte Straßenzug eines der am schlimmsten von der Cholera betroffenen Gebiete außerhalb der berüchtigten innerstädtischen Gängeviertel.
     
    Als der in Altona ansässige Arzt Dr.   Hugo Simon am 14.   August 1892 bei einem seiner Patienten Cholera diagnostizierte, wäre wohl niemand auf die Idee gekommen, dass dies der Anfang einer der schlimmsten Epidemien war, welche die Hansestadt Hamburg jemals heimsuchen sollte. Simons Vorgesetzter, der geheime Sanitätsrat Dr.   Wallichs, wollte die Diagnose ohne Nachweis des Erregers jedenfalls nicht anerkennen. Einen Tag später wurden die ersten Fälle von
Brechdurchfall
auch im benachbarten Hamburg gemeldet, und auch hier wollte man die Diagnose der behandelnden Ärzte nicht wahrhaben.
    Was in diesem Roman mit einem verbrecherischen Hintergrund erklärt wird, stellt sich dem Historiker als eine Verkettung äußerst mysteriöser Umstände dar, wobei bis heute ungeklärt ist, warum die zuständigen Behörden erst so spät informiert und Gegenmaßnahmen ebenfalls erst so spät getroffen wurden. Unbestritten ist jedoch, dass der Cholera-Erreger, der höchstwahrscheinlich über den Hafen in die Stadt gelangt war, in Hamburg auf denkbar günstigen Nährboden für eine schnelle Verbreitung traf. Neben den klimatischen Bedingungen jener Tage waren dafür in erster Linie zwei Umstände verantwortlich. Erstens die Trinkwasserversorgung und zweitens eine in Sachen
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