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Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)

Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)

Titel: Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)
Autoren: Simon Spurrier
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Ziele wären?
    Nein. Nein, Alice war zu intelligent, um sich an leere Hoffnungen zu klammern. Was immer als Nächstes geschehen würde, die Art ihrer Fesselung hatte sie davon überzeugt, dass nur eines je die Entführung aus ihrem Haus und die erlittenen Schrecken belegen könnte: ihre eigene Zeugenaussage. Und sie musste davon ausgehen, dass sie keine Gelegenheit erhalten würde, sie zu Protokoll zu geben.
    Mit einem kalten Knurren blinzelte sie einsetzende Tränen zurück, weigerte sich, aufzugeben, und sah sich erneut prüfend in ihrem Kerker um. Auf derben Gemälden in Hängerahmen zu beiden Seiten, kaum erkennbar unter den Kunststofffolien, die jede Fläche bedeckten, ließen Gestalten mit blauen Gesichtern die Hüften kreisen, verschlangen zahlreiche Arme ineinanderund streckten rote Zungen heraus. Unter ihrem irren Blick standen auf einem Holztisch eine Reihe beschlagener Marmeladengläser und eine einsame, flackernde Kerze, deren Schein die einzige Beleuchtung darstellte. Am merkwürdigsten empfand Alice, dass sich auf dem Boden rings um sie, angeordnet wie eine UFO-Flotte, ein Dutzend verchromter Hundenäpfe befanden. Durch die Folie darunter zeichneten sich leichte Ansätze von Stroh und Sägemehl ab.
    Im Lichte Alices verheerender Prognose passte aber sogar diese bizarre Konfiguration ins Bild.
    Es würde wie ein Unfall aussehen, vermutete sie. Vielleicht auch wie ein Raubüberfall. Etwas Hässliches und Sinnloses; ein unpersönliches, chaotisches Ende, was auch das Drängen des Mörders erklärte, dass sie ihren Jogginganzug tragen musste. Alice stellte fest, dass sie sich die Szene mit erschreckender Deutlichkeit ausmalen konnte: ihr Körper, zum Verbluten zwischen den Nesseln des Naturlehrpfads im Queen’s Park zurückgelassen, wo sie ausnahmslos jeden Abend joggte.
    Erst da, als sich der Ablauf ihres Todes so perfekt herauskristallisierte, als selbst der leiseste Anschein einer Überlebenschance verpuffte und sich der Takt der Tabla beschleunigte, kapitulierte Alice Colquhoun und begann, leise zu weinen. Da sie um den Ballknebel herum ohnehin nichts Verständliches von sich geben konnte, verkniff sie sich jedes Stöhnen und entwürdigende Grunzen, wodurch sie sich nur mit Geifer besabbert hätte. Solche alten Konferenzraumgewohnheiten – stilles Leiden, kein Zeigen von Schwäche – waren nicht so einfach totzukriegen wie …
    Nun, wie sie es gleich sein würde.
    Und dennoch, als sich die Tür öffnete und die Klänge der Sitar deutlicher hereindrangen, platzte aus einem geheimen Winkel in ihr ein Stöhnen hervor – unwillkürlich, unerwünscht. Sie hasste sich dafür, und das sengende Aufflammen ihrer Wut hätte beinah ihr Elend verdrängt.
    Bis der Mörder ins Licht geriet. Bis sich die Gestalt mit derKapuze in den Raum bewegte und langsam, mit gemessenen Schritten zu tanzen begann, den Kopf wie ein neugieriges Tier schief gelegt.
    Seine Arme baumelten wie gebrochene Schwingen schlaff an den Seiten herab, während er im Takt der Musik einen geheimen Sprechgesang flüsterte.
    Die Töne der Sitar beschleunigten sich, die Trommeln wirbelten einem hektischen Höhepunkt entgegen, und als die Verrenkungen der Gestalt zunehmend wilder wurden, drehte sie sich Alice zu und schob die Kapuze zurück.
    In jenem Moment floss aus Alice ab, was noch an Mut in ihr verblieben war. Der angehaltene Atem entrang sich ihr mit einem Keuchen, und nur ihre innere Wut – wie konnte ihr Körper es wagen, sie zu verraten? – verhinderte, dass sich ihre Blase entleerte.
    Das Gesicht unter der Kapuze erwies sich als eine vorwiegend blaue, von Hass verzerrte Maske. Es bewegte sich durch Schatten und Licht wie eine saphirblaue, goldene und glänzend rote Vision. In den Tiefen der schwarzen Höhlen konnte Alice weiße, nach oben gerollte Augen erkennen, die sich feucht und ekstatisch hinter der Maske abzeichneten.
    Der Mörder, den sie durch den Schleier ihrer Tränen nur verschwommen wahrnahm, beugte sich dicht zu ihr und hob zur Überprüfung eine behandschuhte Hand. Das im Latexgriff gehaltene Messer, das sie töten würde, reflektierte das Licht.
    Die Maske flüsterte: » Ram .«
    Und Alice verstand.
    Und als das Messer zum ersten Mal in sie eindrang, als es in ihre Bauchhöhle glitt und langsam – liebevoll  – seitwärtsschnitt, als sich ihr Blut prasselnd wie ein perverser Trommelwirbel in die wartenden Futternäpfe ergoss, erfuhr Alice Colquhoun die dürftige Genugtuung, das eine Rätsel zu lösen, das sie
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