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Der Besuch

Der Besuch

Titel: Der Besuch
Autoren: H.G. Wells
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„Hi!“ rief er. „Du da!“
    Der Engel drehte sich lächelnd um.
    „Geh aus dem Wald heraus!“ sagte Sir John Gotch.
    „Warum?“ sagte der Engel.
    „Ich bin ...“, sagte Sir John Gotch und suchte nach einem vernichtenden Fluch. Aber es fiel ihm nichts Besseres ein als „Verflucht“. „Geh aus diesem Wald heraus“, sagte er.
    Das Lächeln des Engels verschwand. „Warum sollte ich aus diesem Wald herausgehen?“ sagte er und blieb stehen.
    Ungefähr eine halbe Minute sagte keiner ein Wort, und dann schwang sich Sir John Gotch aus dem Sattel und stellte sich neben das Pferd.
    (Jetzt müssen Sie sich daran erinnern – damit die engelhaften Gäste dadurch nicht in schlechten Ruf gebracht werden –, daß dieser Engel länger als eine Woche unsere vom Daseinskampf vergiftete Luft geatmet hatte. Darunter litten nicht nur seine Flügel und der Glanz seines Gesichtes. Er hatte gegessen und geschlafen und hatte seine Lektion in Sachen Schmerz gelernt – und hatte bereits eine große Strecke auf dem Weg zum Menschentum zurückgelegt. Während der ganzen Zeit seines Besuches war er auf immer mehr Rohheit und Streitsucht dieser Welt gestoßen und hatte dabei immer mehr an Verbundenheit mit der strahlenden Größe seiner eigenen Welt eingebüßt.)
    „Du willst nicht herausgehen, he!“ sagte Gotch und lenkte sein Pferd durch die Büsche auf den Engel zu. Der Engel stand mit angespannten Muskeln und vibrierenden Nerven da und ließ den näherkommenden Gegner nicht aus den Augen.
    „Geh aus diesem Wald heraus“, sagte Gotch und blieb drei Yards vor ihm stehen, sein Gesicht war weiß vor Zorn. In einer Hand hielt er die Zügel, in der anderen die Reitpeitsche.

    Eine Woge seltsamer Gefühle durchströmte den Engel. „Wer bist du“, sagte er mit leiser, zitternder Stimme; „wer bin ich – daß du mir befehlen könntest, diesen Ort zu verlassen?
    Was hat die Welt verbrochen, daß Leute wie du
    ...“
    „Du bist der Idiot, der meinen Stacheldraht zerrissen hat“, sagte Gotch drohend, „wenn du es wissen willst!“
    „Deinen Stacheldraht“, sagte der Engel. „War das dein Stacheldraht? Bist du der Mann, der den Stacheldraht verlegt hat? Mit welchem Recht hast du ...“
    „Rede keinen sozialistischen Quatsch“, sagte Gotch unter kurzen Atemzügen. „Dieser Wald gehört mir, und ich habe ein Recht, ihn zu schützen, so gut ich kann. Ich kenne Dreckskerle wie dich. Reden Quatsch und verursachen Unzufriedenheit. Und wenn du nicht schleunigst aus dem Wald herausgehst ...“
    „Was dann!“ sagte der Engel berstend vor unvorstellbarer Kraft.
    „Geh aus diesem verfluchten Wald heraus!“ sagte Gotch und spielte aus lauter Schreck vor dem Aufblitzen in des Engels Gesicht den wilden Mann.
    Er machte einen Schritt auf ihn zu, die Peitsche erhoben, und dann geschah etwas, was weder er noch der Engel genau verstanden.
    Der Engel schien in die Luft zu springen, ein Paar grauer Flügel breitete sich blitzartig vor dem Gutsbesitzer aus, er sah ein Gesicht auf sich herabblicken, voll der wilden Schönheit leidenschaftlichen Zorns. Die Reitpeitsche wurde ihm aus der Hand gerissen. Sein Pferd bäumte sich hinter ihm, stieß ihn um, entriß ihm die Zügel und galoppierte davon.
    Die Peitsche zischte über sein Gesicht, als er zurückfiel, klatschte noch einmal auf sein Gesicht, als er sich auf dem Boden aufsetzte. Er erblickte den Engel, der glühend vor Zorn, gerade daranging, wieder zuzuschlagen. Gotch warf seine Hände empor, warf sich nach vorn, um seine Augen zu schützen, und wälzte sich unter dem unbarmherzigen Wirbel der Schläge, die auf ihn niederprasselten, am Boden.
    „Du Scheusal“, schrie der Engel und schlug hin, wo immer er einen ungeschützten Körperteil fand. „Du Bestie an Stolz und Lügen! Du hast die Seelen anderer Menschen verfinstert!
    Du unwissender Narr mit all deinen Pferden und Hunden! Daß du deinen Blick auf irgendein Lebewesen richtest! Merk dir das! Merk dir das! Merk dir das!“
    Gotch begann, um Hilfe zu rufen. Zweimal versuchte er, auf die Beine zu kommen, er kam auf die Knie und stürzte unter der wilden Raserei des Engels wieder nach vorn. Bald darauf konnte man in seiner Kehle ein seltsames Geräusch hören, und er hörte auf, sich unter den Schlägen zu krümmen.
    Dann erwachte der Engel plötzlich aus seinem Zorn und wurde sich seiner selbst bewußt, wie er dastand, keuchte und zitterte.
    Einen Fuß hatte er auf der regungslosen Gestalt. So stand er in der grünen Stille der
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