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Der Beschütze

Der Beschütze

Titel: Der Beschütze
Autoren: Belinda Bauer
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die Jonas in einem stetigen Versorgungsstrom für sie bestellte und die sie sich mit geradezu unanständigem Vergnügen hinter ihrem Lieblingskissen mit den Troddeln hervor ansah.
    Er seufzte gespielt und zuckte übertrieben die Achseln, brachte sie zum Lachen. Ihr ganzes Gesicht leuchtete dabei auf. Für Jonas war Lucy immer wunderschön, wenn sie jedoch lächelte, wurde dies zu einer universell gültigen Wahrheit  – auch wenn ihre Krankheit und die Anstrengungen der
letzten Wochen deutliche Spuren hinterlassen hatten. Ihr jungenhaftes Gesicht mit der sommersprossigen Stupsnase und den weit auseinanderliegenden grünen Augen und ihr kurz geschnittenes, rotbraunes Haar gaben ihr etwas Elfenhaftes.
    Er küsste sie auf den Scheitel, und sie griff nach seiner Hand und wurde ernst.
    »Die arme Margaret.«
    In der Tat, die arme Margaret. Doch es war eine Erlösung. Eine Erleichterung, über den Tod reden zu können wie ganz gewöhnliche Klatschweiber, für die dies lediglich eine kurzzeitige Ablenkung war und keine Zeitbombe in ihrer Tasche.
    »Was hast du denn gehört?« Dies hier war ein Dorf mitten auf dem Exmoor, alles Mögliche konnte ihr zu Ohren gekommen sein.
    »Dass jemand sie umgebracht hat.«
    »Möglicherweise. Die aus Taunton sind jetzt dafür zuständig.« Er drückte ihre Hand und spürte erleichtert, dass sie warm und ruhig war, dann drehte er sich herum und setzte sich neben sie auf die Sofakante.
    »Wie geht’s dir, Lu?«
    Das war eine Frage, die er seit fast drei Jahren in der einen oder anderen Form täglich stellte. Manchmal klang sie seltsam in seinen Ohren, an anderen Tage war es ein bemüht beiläufiges »Alles klar, Lu?«. Er konnte sich auch auf einen fragenden Blick von der anderen Seite des Zimmers her beschränken, auf den sie mit einem Lächeln oder einem Achselzucken antwortete.
    Manchmal brauchte er gar nicht zu fragen.
    Das waren die Tage, an denen er sie beim Heimkommen zusammengekrümmt und unter dem für MS so typischen Klammerschmerz um den Brustkorb nach Luft schnappend vorfand. Oder wenn sie mit Handfeger und Kehrschaufel an einem zerbrochenen Teller und verstreutem Essen herumstocherte und ihre spastischen Hände, die das Malheur verursacht
hatten, nicht in der Lage waren, es zu beheben. Manchmal zog er, wenn er sie so vorfand, auf dem Sofa die Decke über sie beide und kitzelte träge ihre Arme, bis sie einschlief. An anderen Tagen hielt er sie fest, während sie zitterte und weinte und mit ihren zornigen, verkrümmten Händen auf ihren langsam versagenden Körper einschlug. Jonas hatte nie mitgeweint  – hatte sich niemals dem Selbstmitleid ergeben, auf das das hinauslaufen würde.
    Nachdem die Krankheit diagnostiziert worden war, hatte sich alles verändert  – zu Hause und bei der Arbeit. Er hatte seine Bewerbung für die Anti-Terror-Einheit zurückgezogen und sich stattdessen für diesen Provinzposten beworben, wo er die Arbeit an sein Leben zu Hause anpassen konnte, anstatt es umgekehrt zu handhaben. Sie zogen ins Rose Cottage, das nach dem Tod seiner Eltern leer gestanden hatte. Jonas hatte niemals zurückkommen wollen, doch er kannte den Ort, er kannte die Leute. Er wusste, dass es leichter sein würde, seinen Beruf auf dem Exmoor auszuüben, als sich woanders ganz neu einzuarbeiten, und dass es deswegen einfacher sein würde, sich um Lucy zu kümmern.
    Manchmal jedoch reichte auch der Trost der Vertrautheit nicht aus, um ihn Ruhe finden zu lassen. Manchmal  – wenn er Wanderern den Weg zum Dunkery Beacon zeigte oder mit den Eltern eines Teenagers sprach, der mit einer halben Flasche Wodka und einer großen Klappe erwischt worden war  – verspürte Jonas ein fast überwältigendes Bedürfnis, ins Auto zu springen und nach Hause zu rasen, um nach Lucy zu sehen. Als sich sein Herz zum ersten Mal so zusammengekrampft hatte, hatte er dem Impuls nachgegeben und war mit achtzig Stundenkilometern über die gewundenen Landstraßen nach Hause gehetzt. Er war durch die Haustür gestürmt und hatte ihren Namen gebrüllt, und sie war in heller Panik die Treppe ihres kleinen Cottage heruntergerannt gekommen und beinahe die letzten Stufen hinuntergefallen. Er hatte sie aufgefangen und seine übliche Frage hervorgestammelt: »Alles
okay?«, und sie hatte ihm gegen den Arm geboxt, weil er sie so erschreckt hatte.
    Das war gewesen, als Lu noch richtig Treppen steigen konnte. Jonas wollte einen Kredit für einen Treppenlift aufnehmen, doch sie sagte, tagsüber sei ihr das
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