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Der Beschütze

Der Beschütze

Titel: Der Beschütze
Autoren: Belinda Bauer
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sah aus, als hätte sich jemand daran zu schaffen gemacht; sogar das Spitzendeckchen auf der Kommode war glatt und faltenlos.
    »Ich will die Namen von sämtlichen Krankenschwestern, und Haarproben von allen, die am Tatort waren.«
    »Ja, Sir.«
    »Fingerabdrücke?«
    »Bis jetzt keine.«
    Es war Januar und bitterkalt, und der Mörder könnte allein schon aus diesem Grund Handschuhe getragen haben. Doch Marvel hoffte, dass es sich nicht nur um einen opportunistischen Einbrecher handelte, der überreagiert hatte, als er merkte, dass ihn in einem Zimmer, das er für leer gehalten hatte, eine Frau schweigend vom Bett aus beobachtete. Marvel hoffte, dass der Täter vorausgeplant hatte. Ob er einen Einbruch oder einen Mord vorausgeplant hatte, war fraglich, doch die Tatsache, dass sie wahrscheinlich keine Fingerabdrücke finden würden, machte den Fall für Marvel interessanter. Er verschwendete sein Talent nur höchst ungern an die Niederen und die Dummen, und seit er nach Somerset gekommen war, hatte er die ungeschickten Säufer allmählich satt, die durch das unglückliche Zusammentreffen von Köpfen und Bordsteinkanten zu Totschlägern wurden. Und die zugedröhnten Teenager, deren großzügige Bereitschaft, ihr
Besteck zu verleihen, dadurch vergolten wurde, dass ihre undankbaren Freunde neben irgendwelchen Pubklos abkratzten, mit Scheiße in der Hose und Dreck in den Venen.
    Nein, die Handschuhe machten den Mörder in Marvels Augen zu einer lohnenderen Beute.
    Wie lohnend genau, das würde man noch sehen.
     
    Vierhundert Meter vor dem Schild »Bitte fahren Sie in Shipcott langsam« stand das Haus, in dem Jonas aufgewachsen war und aus dem seine Eltern zu Grabe getragen worden waren. Eigentlich war es eher ein Cottage  – allerdings hörte sich Cottage hübscher an, als das Haus in Wirklichkeit war. Wie ein Bild auf einer Schachtel Souvenir-Pralinen. Dieses Cottage war eher gedrungen, hatte Schindeln anstelle eines Reetdaches und hing wie ein siamesischer Zwilling an seinem einzigen Nachbarn. Die beiden hockten da und blickten finster über die schmale Straße auf die hohe Hecke dahinter, die ihnen sowohl das Licht als auch die Aussicht vom Erdgeschoss aus nahm. Beide Zwillingshäuser hatten identische Namensschilder aus Eichenholz an den Gartenpforten: Rose Cottage und Honeysuckle Cottage. Der Hinz und Kunz unter den ländlichen Doppelhäusern. Rose für Jonas und Lucy. Honeysuckle für die alte Mrs. Paddon nebenan.
    Jonas parkte den Land Rover mit der auffälligen Polizeilackierung hinter Lucys Käfer auf dem Weg neben dem Rose Cottage und fühlte, wie sein Herz schneller schlug.
    Er musste sich zusammenreißen.
    Musste langsam und bedächtig aussteigen und ganz normal durch die Haustür treten. Das Badezimmer putzen, die Waschmaschine anstellen, das Abendessen machen  – genau so, wie Mark Dennis es ihm gesagt hatte.
    »Lucy braucht Sie. Sie dürfen nicht schlappmachen, Jonas. Jetzt mehr denn je.«
    Er würde nicht schlappmachen. Er würde sich zusammennehmen. Auch wenn ihm während der letzten drei Wochen
jeden Tag das Herz vor Furcht bis zum Hals geschlagen hatte, wenn er den Plattenweg voller Sprünge und Unkraut hinaufgegangen war und die Hausschlüssel in seinen zitternden Händen geklimpert hatten wie ein Windspiel. Die Angst war fast übermächtig  – die Angst, dass er die Tür aufstoßen und sie abermals durch den Körper seiner Frau blockiert sein würde. Oder dass er hallend ihren Namen rufen und sie schließlich in einer Wanne voll lauwarmem, rosa gefärbtem Wasser finden würde. Oder dass er in ein in winterliche Dunkelheit gehülltes Haus treten und spüren würde, wie ihre nackten Füße sein Gesicht streiften, die im Treppenhaus hingen.
    Jonas schüttelte sich auf der Schwelle und zwang sich, ganz ruhig zu atmen, damit er nicht vor Erleichterung losheulen würde, wenn er sie sah. Dann drückte er die Tür auf.
     
    »Igitt« war vor ihm zu Hause angekommen.
    Lucy begrüßte ihn mit diesem Wort und einer fragenden Braue, als er ins Wohnzimmer trat. Hätte er raten müssen, so hätte er darauf getippt, dass Mark Dennis seiner Sprechstundenhilfe davon erzählt hatte, die es entweder Mr. Jacoby selbst oder jemandem in Mr. Jacobys Laden weitererzählt hatte. Von da an hätte jeder die Geschichte ins Haus der Hollys tragen können. Der Zeitungsjunge Steven oder Will Bishop, der alte Milchmann, oder einer der Besucher, die Lucy gelegentlich auf ihrem Sofa empfing  – zwischen den Horrorfilmen,
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