Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Beschütze

Der Beschütze

Titel: Der Beschütze
Autoren: Belinda Bauer
Vom Netzwerk:
an die Aufgabe, die er zu erfüllen hatte.
    Einbruchsopfer schafften sich neue Fernseher an, die Prellungen der Verprügelten heilten, und die Vergewaltigten lebten weiter, gingen zur Arbeit, kauften ein, schickten Postkarten und sangen weiter im Chor.
    Die Ermordeten waren tot und blieben tot.
    Für immer.
    Wie konnte ein echter Polizist die Ermordeten nicht lieben, sie und die Herausforderung, vor die sie ihn von jenseits des Grabes stellten?
    RÄCHE MICH!
    Nie hörte Marvel diese geisterhafte Stimme in seinem
Kopf, ohne sich einen weiten, dunklen Umhang vorzustellen, der sich in rechtschaffenem Rachedurst blähte.
    Das wühlte einen richtig auf.
    Und Marvel war jedes Mal aufgewühlt.
    Früher oder später.
    Sogar bei einem Fall wie diesem, das wusste er, würde er aufgewühlt sein, wenn erst ein gewaltsamer Tod bestätigt worden war. Er musste sozusagen langsam auf Touren kommen.
    Bis dahin jedoch ödete ihn das Ganze ein bisschen an.
    Marvel seufzte.
    Margaret Priddys Leichnam war in zivilisierte Gefilde geschafft worden  – oder was hier in der Walachei eben als zivilisiert galt. Er fand es grauenvoll, nicht in der Stadt zu sein. Marvel war in London geboren worden und dort aufgewachsen. In Battersea, um genau zu sein, wo die verkümmerten Linden, die durch verworfenes, gesprungenes Gehsteigpflaster emporwuchsen, alles an Grün waren, was irgendjemand seiner Ansicht nach ertragen sollte. Einmal hatte er seinen Namen in die Rinde geritzt, und das feuchte, grünliche Gewebe, das unter seinem Taschenmesser zum Vorschein gekommen war, hatte ihn abgestoßen. Als Jugendlicher hatte er manchmal an einer Bushaltestelle ganz in der Nähe des Parks herumgehangen, hatte sich jedoch nur selten hineingewagt. Nur gelegentlich mal am Sonntag, zum Kicken, und selbst dann hatte er sich nie für den matschigen, graugrünen Rasen erwärmen können. Hinter den Garagen oder unter der Eisenbahnbrücke zu spielen war sauberer und einfacher. Gras wurde Marvels Meinung nach überschätzt, und es war ihm ein ständiger Dorn im Auge, dass das Einsatzgebiet der Polizei von Avon und Somerset, wo er schließlich gelandet war, zum größten Teil davon bedeckt war.
    Jetzt saß er hier in diesem Scheißkaff mitten auf einem Moor, das nicht einmal mit Ställen oder Zäunen aufwarten konnte, und musste in einem Mordfall ermitteln  – umgeben
von Ginster, Landeiern und Ponyscheiße anstelle von vernünftigen Einrichtungen wie Tankstellen mit Selbstbedienung, verständlichen Straßenschildern und seiner geliebten Stammkneipe.
    Der Arzt hatte bereits Abschürfungen und Quetschungen im Innern von Margaret Priddys Mund festgestellt, wo ihre Lippen gegen die Zähne gedrückt worden waren, und der Pathologe würde vielleicht sogar noch mehr finden. Jetzt brauchte das Kriminallabor in Portishead nur noch zu bestätigen, dass Speichel und Nasensekret auf dem ordentlich aufgeschüttelten Kissen, das neben Margaret Priddy gefunden worden war, von dem Opfer stammten, dann hätten sie ihre Beförderung zum Mord und die Mordwaffe gleich noch dazu. Alles in ein und demselben ordentlichen forensischen Paket.
    Marvel schaute zu dem leeren Bett hinüber, über das sich drei Spurensicherungsbeamte in weißen Papieroveralls beugten, wie Leute, die sich für eine Kostümparty als Spermien verkleidet hatten.
    »Der Sohn sieht vielversprechend aus, finde ich«, sagte er zu Detective Sergeant Reynolds. Marvel sagte gern, dass jemand »vielversprechend« aussähe. Dabei kam er sich immer vor wie in einem Quentin-Tarantino-Film. Sein Londoner Akzent war ein Handicap bei solchen Äußerungen, allerdings kein unüberwindliches.
    »Ja, Sir«, antwortete DS Reynolds vorsichtig.
    »Hat’s bestimmt sattgehabt zuzusehen, wie sein Erbe für die Pflege draufgeht.«
    »Ja, Sir.«
    »Also, was haben wir?«
    »Bis jetzt? Ein paar Haare, Körperflüssigkeiten …«
    »Sperma ?«
    »Sieht nicht so aus, Sir. Nur das, was auf dem Kissen war, und Urin.«
    »Ich dachte, sie hätte einen Katheter gehabt?«

    »Ich glaube, der Beutel ist geplatzt.«
    »Dann könnte der Täter also von oben bis unten voll Pisse sein.«
    »Ja, Sir.«
    »Super. Fehlt irgendwas?«
    »Sieht nicht nach einem Einbruch aus, Sir. Wenn irgendwas geklaut worden ist, dann hat der Mörder genau gewusst, was er wollte und wo er es findet.«
    Marvel sah sich in dem Zimmer mit den alten dunklen Möbeln um. Die Abnutzungsspuren rund um die blinden Messinggriffe der Kommode zeugten von lebenslangem Gebrauch. Nichts
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher