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Der Beschütze

Der Beschütze

Titel: Der Beschütze
Autoren: Belinda Bauer
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schon mal was von einem Tatort gehört, Holly?«
    »Ja, Sir.« Jetzt hasste Jonas Marvel. Der Mann wollte bei seinem Team Eindruck schinden, und Jonas hätte Margaret Priddys Nase nicht anfassen dürfen, aber trotzdem …
    »Haben Sie schon mal etwas davon gehört, dass man einen Tatort kontaminieren kann, Holly?«
    »Ja, Sir.« Die Hitze der Verlegenheit wich allmählich aus Jonas und machte einem kühlen, distanzierten Zorn Platz. Er fand es leicht, sich diesen Zorn nicht anmerken zu lassen, doch er wusste, dass er ihn für alle Zeit in jenem sehr kleinen, steinernen Winkel seines Herzens hegen würde, wo er alles aufbewahrte, was nicht freundlich, rücksichtsvoll und selbstlos war.
    »Und Ihnen ist doch klar, dass das etwas Schlimmes ist, nicht wahr?«
    »Ja, Sir.«
    »Etwas Dämliches.«
    Am liebsten hätte Jonas ihm eine geknallt.
    »Ja, Sir.«
    Marvel lächelte gemächlich.
    »Und warum tun Sie es dann?«
    Jonas war acht Jahre alt, und Pete Byrant hatte einen Cricketball durch das Dach von Mr. Randalls Treibhaus gepfeffert. Pete war abgehauen, aber Jonas hatte gezögert, und Mr. Randall hatte mit einer fleischigen Klaue seinen Arm gepackt und ihn geschüttelt, während er ihm dieselbe Frage ins Gesicht brüllte. Der achtjährige Jonas hätte Mr. Randall sagen können, dass Pete den Ball geworfen hatte, doch er tat es nicht. Nicht weil er Angst hatte, nicht weil er keine Petze war;
einfach nur, weil es zu spät war, der Schaden war bereits angerichtet. Die Glasscheibe war bereits zu Bruch gegangen, Mr. Randall war bereits fuchsteufelswild, Jonas’ Bizeps hatte bereits blaue Flecken abgekriegt, seine Tränen flossen bereits, und sein Selbstbewusstsein war bereits lädiert. Alles, was er noch tun konnte, war, so schnell wie möglich nach Hause zu flitzen, damit er seine Zimmertür zumachen und heulen konnte, weil das alles so unfair war, ohne dass seine Mutter etwas davon mitbekam.
    Jetzt schluckte der einunddreißigjährige Jonas dieselbe bittere Pille und stellte seine Augen auf Weitblick, so dass er über Marvels ergrauendes Haar hinwegblicken konnte.
    »Es tut mir sehr leid, Sir.«
     
    Marvel betrachtete den hochgewachsenen jungen Polizisten ein wenig enttäuscht. Es wäre ihm wirklich lieber gewesen, wenn der Blödmann wütend geworden wäre und sich verteidigt hätte. Ein schöner Streit, so etwas gefiel ihm. Stattdessen hatte sich PC Holly wie ein Welpe auf den Rücken gerollt und der Welt den Bauch gezeigt.
    Na schön.
    Marvel wandte sich ab, bevor er antwortete.
    »Sie können gehen«, sagte er.
     
    In einer kleinen Geste des Trotzes verbiss sich Jonas ein »Ja, Sir« und ging ohne ein weiteres Wort hinaus. Auf halbem Weg die Treppe hinunter hörte er Marvel etwas sagen, das er nicht verstand, und dann das Gelächter der Großstadtcops.
     
    Toller Fall, dachte DCI John Marvel, während er auf den bleiernen Himmel von Somerset hinausstarrte. Eine tote alte Frau mit gebrochener Nase. Super. Aber verdächtige Todesumstände waren verdächtige Todesumstände, und solche Fälle rechtfertigten die Finanzierung seiner Sondereinheit (wie er sie bei späten Abendessen mit Debbie gern genannt
hatte). Wenn sie also verdächtige Todesumstände zu einem Mord aufbauen konnten, dann war das schön und gut.
    Marvel war seit fünfundzwanzig Jahren beim Morddezernat. Sein halbes Leben. Für Marvel gab es kein anderes Verbrechen, dessentwegen es sich zu ermitteln lohnte. Nichts, was der schieren Endgültigkeit des Todes durch die Hand eines anderen Menschen nahe kam. Seiner Ansicht nach machte Mord gefährliche Körperverletzung problemlos platt, walzte vorsätzlichen Raub nieder und stach sogar Vergewaltigung aus. Natürlich gab es Abstufungen  – und nicht jeder Fall war die reine Freude. Manche waren von Anfang bis Ende eine endlose Plackerei, bei manchen lief alles zuerst wie am Schnürchen, und dann kam man plötzlich nicht weiter, während wieder andere ganz einfach begannen und dann völlig außer Kontrolle gerieten. Man konnte am Anfang nie sagen, wie das Ganze enden würde, doch das, was jeden Fall in Gang brachte, war das, was Marvel all die Jahre lang bei der Stange gehalten hatte. Das Opfer. Die Leiche. Diesen erstochenen, erwürgten, erschlagenen, erschossenen, zerstückelten, vergifteten ehemaligen Menschen hatte er jeden Tag vor sich, wie ein Katzenspielzeug hing er über seinem Kopf  – endlos faszinierend, verlockend, vorwurfsvoll  –, und er erinnerte ihn stets daran, wieso er hier war, und
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