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Der Beschütze

Der Beschütze

Titel: Der Beschütze
Autoren: Belinda Bauer
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sich an die Wand und nahm den Helm ab, damit ein wenig Luft an seinen Kopf kam, der sich plötzlich feucht und klamm anfühlte.
    Der Leichnam auf dem Bett hatte bei seiner Hochzeit Orgel gespielt. Er kannte sie seit seiner Kindheit.
    Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie er klein genug gewesen war, um nicht zu wissen, dass es nicht cool war, sich von irgendetwas beeindrucken zu lassen; und wie er Mrs. Priddy zugewinkt hatte, wenn sie auf diesem aberwitzig großen grauen Pferd vorbeigeritten kam. Und wie sie zurückgewinkt hatte. Im Laufe der nächsten fünfundzwanzig Jahre hatte sich diese Szene Dutzende von Malen wiederholt, während alle Beteiligten sich weiterentwickelten. Margaret wurde
älter, war aber stets quicklebendig; er wuchs und reckte sich, kam und ging  – zur Universität, zur Ausbildung nach Portishead, nach Hause, um seine Eltern zu besuchen, als diese noch lebten. Sogar das Pferd veränderte sich, von einem Grauschimmel über alle möglichen ähnlichen Tiere, bis Buster kam. Mrs. Priddy hatte stets Pferde geschätzt, die zu groß für sie waren. »Je größer, desto sanftmütiger«, hatte sie einmal zu ihm gesagt, als er mit zusammengekniffenen Augen in den Himmel hinaufgespäht und versucht hatte, Busters heiße, zuckende Schulter nicht anzusehen.
    Jetzt war Margaret Priddy tot. Eigentlich war es ja ein Segen  – die Arme. Im Augenblick jedoch war Jonas Holly bloß völlig durcheinander, und ihm war übel bei dem Gedanken, dass nachts irgendeine seltsame Magie am Werke gewesen war und Leben in Tod verwandelt hatte, Wärme in Kälte, das Diesseits ins Jenseits.
    Was auch immer das Jenseits war. Jonas hatte lediglich eine vage religiöse Vorstellung, dass es dort wahrscheinlich ganz schön war.
    Dies hier war nicht seine erste Leiche; als Dorfbobby hatte er schon einiges zu sehen bekommen. Doch Margaret Priddy dort liegen zu sehen hatte ihn unerwartet hart getroffen. Er hörte die Krankenschwester die Treppe heraufkommen und setzte den Helm wieder auf, wischte sich hastig das Gesicht mit dem Ärmel ab und hoffte, dass er nicht so käsig aussah, wie ihm zumute war. Er war eins zweiundneunzig, und anscheinend dachten die Leute, dass man umso mehr Rückgrat besitzen sollte, je größer man war.
    Die Schwester lächelte ihn an und hielt die Tür für Dr. Dennis auf, der stets Khakihosen und ein Polohemd trug  – als spiele er in irgendeiner australischen Seifenoper mit und würde gleich mit einem Sportflugzeug losdüsen, um im heißen Outback Schlangenbisse zu behandeln, anstatt den Tod einer Rentnerin in ihrem Cottage auf dem januarfeuchten Exmoor zu bescheinigen.

    »Hallo, Jonas«, sagte er.
    »Hallo, Mark.«
    »Wie geht’s Lucy?«
    »Okay, danke.«
    »Gut.«
    Jonas hatte Mark Dennis einmal nach einem Rugbyspiel in einen Bierhumpen kotzen sehen, im Augenblick jedoch gab sich der Arzt ganz geschäftsmäßig. Seine ebenmäßigen, gebräunten Züge waren eine Maske professionellen Mitgefühls. Er ging zum Bett hinüber und untersuchte Margaret Priddy.
    »Reizende Lady«, meinte er, nur um etwas zu sagen.
    »Reizender geht’s gar nicht«, pflichtete Jonas Holly ihm mit großem Nachdruck bei. »Ist wahrscheinlich ein Segen, dass sie tot ist. Für sie, meine ich.«
    Die Schwester lächelte und nickte ihm professionell zu, doch Mark Dennis antwortete nicht. Er schien sich sehr für Margaret Priddys Gesicht zu interessieren.
    Jonas sah sich im Zimmer um. Irgendjemand hatte einen billigen Engel aus Silberfolie über das Bett gehängt; er drehte sich langsam, wie ein Kindermobile. Auf der Kommode war ein halbes Dutzend Weihnachtskarten achtlos beiseitegeschoben worden, um Platz für praktischere Dinge zu schaffen. Eine der Karten war umgefallen, und es juckte Jonas in den Fingern, sie wieder richtig hinzustellen.
    Stattdessen zwang er sich, den Leichnam der alten Dame anzusehen. So alt war sie gar nicht, erinnerte er sich, irgendetwas über sechzig. Doch die Bettlägerigkeit hatte sie älter und sehr viel gebrechlicher erscheinen lassen.
    Er dachte daran, dass Lucy eines Tages auch so gebrechlich sein würde und versuchte, sich darauf zu konzentrieren, dass Margaret auf diesem Bett lag, nicht seine schöne Frau.
    Galle und durchweichte Schmerztabletten auf ihren Lippen …
    Jonas verdrängte das Bild mit aller Kraft und atmete tief durch. Er sammelte seine Gedanken und überlegte, was wohl
Margaret Priddys letzte Worte gewesen waren, ehe bei dem Unfall ihr Kehlkopf und ihre Halswirbelsäule mit
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