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Der Beschütze

Der Beschütze

Titel: Der Beschütze
Autoren: Belinda Bauer
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Sofa und der Fernseher ganz recht, und ihr gefiele die Herausforderung, auf dem Hinterteil die Treppe zum Badezimmer hinaufzurobben.
    »Da bleibt der Trizeps in Form«, hatte sie ihn damals geneckt. »Andere Frauen zahlen ein Vermögen für so eine Trainingssession.«
    Er hatte gelacht, um ihr eine Freude zu machen, und hatte das Offensichtliche nicht angesprochen  – dass Lucy Holly die Treppe vor drei Jahren auf den Händen hätte hinauflaufen können. Sie war die fitteste Frau, die Jonas je begegnet war. Selbst gleich nach der Ausbildung in Portishead hatte er sich anstrengen müssen, damit sie ihn bei den Acht-Kilometer-Dauerläufen nicht abhängte, die sie regelmäßig zusammen unternommen hatten. Lucy war keine langweilige Fitnessstudio-Tussi. Sie ging laufen, schwimmen, reiten, und im ersten Winter, nachdem Jonas die Stelle zu Hause bekommen hatte, war sie gelegentlich für die Frauen-Fußballmannschaft der Gegend aufgelaufen, die Blacklander Ladys. Jetzt lächelte Jonas ein wenig bei der Erinnerung daran, wie seine zierliche kleine Frau sich mit blitzenden Augen und hüpfendem Pferdeschwanz einen Schiri vorgeknöpft hatte, bis der völlig verschüchterte Mann eine falsche Elfmeterentscheidung zu ihren Gunsten zurückgenommen hatte. Einmal in der Woche war der Begriff »Ladys« neunzig Minuten lang lediglich eine beschönigende Umschreibung.
    Das schien eine Ewigkeit her zu sein.
    Erst gestern hatte er sie mit weißem, verzerrtem Gesicht vorgefunden, und obgleich sie beharrlich behauptete, dass alles in Ordnung sei, hatte er Salz auf ihren Lippen geschmeckt, das ihm verriet, dass sie geweint hatte.

    Jetzt  – drei Wochen nach den Tabletten  – war die Frage, die er inzwischen so gewohnt war, mit ganz neuer Furcht aufgeladen.
    »Gut«, antwortete Lucy und holte ihn sanft wieder in die Gegenwart zurück. »Mir geht’s gut.«
    Jonas suchte in ihren Augen nach der Wahrheit und sah, dass sie bereits ausgesprochen worden war. Er fühlte, wie die Spannung, die ihm die Eingeweide eingeschnürt hatte, ein wenig nachließ.
    »Ich habe Blumenzwiebeln eingepflanzt. Narzissen und Tulpen vorn vor dem Haus, und Anemonen in den Kübeln.«
    Er betrachtete ihre Hände, sah die rotbraune Erde unter den kurzen Nägeln und wusste genau, wie viel Mühe es sie gekostet haben musste, diese Aufgabe zu bewältigen. Der Sack Blumenerde, die Schaufel, die sich in den schwachen Händen mit den instabilen Handgelenken unbeholfen verkantete, die Anstrengung, die vom Winter verhärtete Erde aufzubrechen. Fast hätte er gefragt, wie lange sie dafür gebraucht hätte, doch ihm war klar, dass es den größten Teil des Tages gedauert haben musste. Stattdessen stand er auf und ging hinaus, um sich ihr Werk anzusehen. Dass sie nicht aufstand, um es ihm zu zeigen, war der Beweis dafür, wie viel Kraft sie das Ganze gekostet hatte. Lächelnd kam er wieder herein.
    »Und dann hast du …?« Er ließ den Satz in der Luft hängen.
    »… ein bisschen geschlafen«, vollendete sie ihn pflichtschuldig, und sie lachten beide.
    »Ich habe dein Zeug«, sagte er. Sie nannten es ihr »Zeug«. Ihre Analgetika, ihre Antidepressiva, ihre Krampfhemmer, ihre Virostatika, ihre diversen Spritzen … die Liste der Medikamente schien kein Ende zu nehmen und sich ständig zu ändern, was nicht gerade Vertrauen aufkommen ließ. Allein schon die Namen auszusprechen, deprimierte einen mittlerweile  – Decadron, Neurontin, Prothiaden, Symmetrel …
»Zeug« deckte das alles ab und hatte die Macht, sie ihrer unheilschwangeren Titel zu berauben.
    »Ach, Jonas! An einem Tag wie heute! Das hätte doch warten können. Mir ist doch nur das Symmetrel ausgegangen.«
    »Kein Problem«, versicherte er achselzuckend, obwohl sie beide wussten, dass es bis zur nächsten Apotheke in Dulverton insgesamt fünfzig Kilometer waren, auf schmalen Landstraßen. Jonas’ Streifenrevier umfasste eine Reihe kleiner Dörfer und musste mit dem Land Rover abgeklappert werden, aber bis nach Dulverton zu fahren, wenn in Shipcott eine Frau ums Leben gekommen war, war trotzdem mehr als ein lästiger Abstecher.
    Wie dem auch sei, er hatte es getan, und sie erkannte das an. Sie waren einander wichtig.
    Als Lucy Jonas zum ersten Mal begegnet war, hatte sie in ihm etwas wiedererkannt, das sie an die Kinder erinnerte, die sie im Kindergarten betreute. Etwas, von dem sie wusste, dass noch so viel Kampftraining bei der Polizeiausbildung es ihm niemals ganz austreiben würde. Jonas hatte etwas
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