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Der Beschütze

Der Beschütze

Titel: Der Beschütze
Autoren: Belinda Bauer
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beschützte ihn, und der Killer hatte untätig geruht, bis der von ihr verursachte Stress gedroht hatte, das Grauen wieder zu wecken, das er schon einmal durchlebt hatte. Wenn irgendetwas diese empfindliche Balance gestört hatte, so war sie die Einzige, der sie die Schuld daran geben konnte. Sie war der Umkipppunkt gewesen.
    Lucy brannte innerlich vor Scham über ihr selbstsüchtiges Handeln.
    Mit einer einzigen egoistischen Handvoll Tabletten hatte sie es geschafft, dass Jonas aus den Fugen zu gehen begann.
    Trotz des Schocks dieser Wahrheit war Lucy plötzlich sehr stolz auf Jonas. Eines gab es, das er ganz ausgezeichnet gemacht hatte: Er hatte den Jungen in seinem Inneren beschützt wie eine Tigerin ihr Junges. Er war ein Beschützer geworden, sowohl persönlich als auch von Berufs wegen. Sein ganzes Leben  – bewusst und unbewusst  – war der Aufgabe gewidmet gewesen, dieses kleine Kind davor zu bewahren,
sich dem zu stellen, was ihm angetan worden war, was immer es auch gewesen sein mochte.
    Mit einem schmerzhaften Stich wurde ihr klar, dass Jonas mehr ein Vater gewesen war, als sie jemals eine Mutter sein würde. Er hatte sich so sehr bemüht und seine Sache so gut gemacht. Der Junge war zu einem guten Menschen herangewachsen, hatte einen guten Beruf ergriffen und hatte sie geliebt wie kein anderer. Er hatte Rückschläge und Trauer durchlitten, und nichts hatte ihn gebrochen.
    Bis sie versucht hatte, sich das Leben zu nehmen.
    Und jetzt war ihr alles klar.
    Tränen ließen alles vor ihren Augen verschwimmen.
    »Ich weiß, du liebst mich, Jonas.«
    »Natürlich liebe ich dich!«
    »Aber wenn du mich beschützt, tust du stattdessen anderen Menschen weh, Liebling. Diese Botschaften, die du geschrieben hast: Und so was nennt sich Polizist! … Mach deinen Job … Du hast gewusst, dass du den Falschen wehtust …«
    Jonas sah verwirrt aus. »Wie meinst du das?«
    Ihre Tränen strömten jetzt schnell und reichlich  – denn im Herzen wusste sie, dass das, was sie gleich sagen würde, wahr war.
    »Jonas … in dir ist jemand, der will, dass ich tot bin.«
    »Was?«
    »Das ist okay. Ich verstehe es. Du musst den Jungen beschützen. Du musst für ihn stark sein, Jonas. Jetzt mehr als jemals zuvor.«
    »Lucy, Schatz, ich weiß nicht, wovon du redest. Bitte komm doch mit nach unten …«
    Er streckte ihr die Hand entgegen  – so wie er es vor dem Altar getan hatte. Damals hatte sie ihm ihre Hand gegeben, und er hatte ihr den Ring an den Finger gesteckt und geschworen, sie für alle Zeit zu lieben.
    »Du hast die Falschen umgebracht, Jonas.«
    Sie war übergeschnappt.

    »Ich habe niemanden umgebracht, Lu. Ich schwöre es dir. Liebling, bitte, komm einfach mit mir nach unten, damit wir uns richtig unterhalten können. Es ist eiskalt hier oben. Bitte, Lu? Bitte?«
    Lucy starrte seine ausgestreckte Hand an und hob den Blick dann mit einem Ausdruck so hilfloser Verzweiflung zu seinen Augen, dass er zusammenfuhr.
    »Jonas«, würgte sie hervor. »Du hast ja immer noch die Handschuhe an.«
    Jonas blickte auf seine Hand hinunter. Sie schimmerte straff und seltsam im weißen Licht der Laterne, und er hielt sie hoch, um sie besser betrachten zu können.
    Er trug einen fast durchsichtigen Chirurgenhandschuh.
    Warum?
    Warum?
    Mit verständnislos gefurchter Stirn starrte er seine Finger an, alle glatt und bleich und aus Plastik. Langsam hob er die andere Hand und sah, dass sie genauso beschaffen war. Er kam sich völlig orientierungslos vor; wieso hatte er diese Handschuhe an? Das ergab doch keinen Sinn.
    »Ich liebe dich von ganzem Herzen, aber du darfst mich nicht mehr beschützen. Das muss aufhören.« Lucys Stimme war ein tonloses Flüstern. Keinerlei Hoffnung lag mehr darin.
    Jonas antwortete nicht  – er war noch immer gebannt vom Anblick seiner schimmernden Finger.
    » Das ist der Job, den du machen solltest, Jonas«, sagte Lucy und stieß sich mit Händen, die nicht zitterten, das Messer in die Kehle.
    »NEIN! NEIN! NEIN!«
    Binnen zwei Sekunden hatte Jonas sie erreicht und fing sie auf, ehe sie hinfiel. Das Messer steckte in ihrer Halsschlagader, Blut pumpte im Rhythmus ihres Herzens aus ihrem Hals, während sie einen ganz kleinen maunzenden Laut von sich gab, wie ein Kätzchen in einem Karton.
    Den ganzen Lärm machte Jonas. Er schrie ihren Namen
und schrie um Hilfe und versuchte, die Blutung mit den Händen zu stoppen, dann zerrte er sie auf die Luke zu. Er berührte die Leiter kaum, landete mit seiner
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